: Balken in der Drehtür
Sozialbehörde will Wohnungslosenhilfe neu strukturieren und auf die Bezirke verteilen. Fachleute befürchten, dass es bei einem halbherzigem Versuch bleibt ■ Von Gernot Knödler
In Hamburg auf der Straße zu landen, geht schnell. So schnell, dass die Sozialbehörde (BAGS) jetzt die Wohnungslosenhilfe umstrukturieren möchte. Statt wie bisher zentral vom Landessozialamt sollen Leute, die neu wohnungslos werden, künftig ausschließlich von den Bezirken betreut werden. Voraussichtlich am 1. Juni will die Behörde dazu gemeinsam mit dem Bezirksamt Nord einen zwölfmonatigen Modellversuch starten. In den Augen seiner KritikerInnen zielt das Modell zwar in die richtige Richtung. Weil die Rahmenbedingungen nicht verändert würden, befürchten sie jedoch, es könnte zum Scheitern verurteilt sein.
Wie schnell jemand, der sich schwer tut mit dem Leben, heute auf der Straße landen kann, schildert Michael Struck, der Wohnungslose in kleinen Containerlagern mit Einzelzimmern versorgt: Eine Mieterin lässt Mietschulden auflaufen. Die Briefe der Hausverwaltung ignoriert sie. Der Vermieter erhebt eine Räumungsklage, die das Gericht an die Bezirksstelle zur Wohnungssicherung (BZW) meldet, die wiederum der Mieterin schreibt. Diese ist aufgrund ihrer desolaten finanziellen Lage so verängstigt, dass sie die Post erst gar nicht öffnet.
Jetzt müsste ein Mitarbeiter der Bezirksstelle die Mieterin eigentlich besuchen und ihr helfen, den Verlust ihrer Wohnung zu vermeiden. „Das findet in der Regel nicht statt“, klagt Struck. Denn die Bezirksstellen verfügten nicht über ausreichend Personal. Die Folge: Die Mieterin landet auf der Straße und beim Landessozialamt, das verpflichtet ist, ihr eine Unterkunft zu besorgen. „Um diese Leute wieder in Wohnungen zu kriegen, muss ein erheblich höherer Aufwand getrieben werden“, sagt Struck.
Denn wer einmal seine Wohnung verloren hat, verliert schnell seine Freunde und Bekannten, Selbstvertrauen und Selbstachtung obendrein. Die Leute in der BAGS nennen das „den Drehtür-Effekt“: Die Mieterin ist an der einen Stelle vor die Tür des sozialen Systems geraten und muss an einer anderen mit viel Mühe wieder hereingeholt werden. „Das ist das ganz große Defizit“, räumt Detlef Meyer, Fachreferent für die Wohnungslosenhilfe in der BAGS ein.
Ein weiteres besteht im Wohnungsangebot. Den Behörden gelingt es derzeit nicht, ausreichend normale Wohnungen für die Obdachlosen der Stadt zu besorgen. Viele von ihnen wohnen deshalb in Massenunterkünften, in denen sich das Elend dieser Menschen verdichtet.
„Der Skandal ist, dass die Stadt, obwohl sie Zugriff auf die Wohnungsunternehmen hat, keine vernünftigen Kontingente für Wohnungslose zur Verfügung stellt“, sagt Monika Schmolke, Mitarbeiterin einer Beratungsstelle in Nord. „Im Grund war das Problem bisher, dass die wohnungslosen Menschen von den Vermietern nicht akzeptiert wurden“, sagt Meyer.
Das Konzept dezentraler Fachdienststellen zur Wohnungssicherung soll Abhilfe schaffen. Meyer definiert es als „das Zusammenführen aller Angebote für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen an einer Stelle“. Sie wird sich um das Gewähren von Sozialhilfe, Mietschulden, die Wohnungsbeschaffung und die soziale Beratung kümmern, die allerdings von privaten Einrichtungen geleistet wird.
Als integrierte Fachstelle, die es in anderen Städten längst gibt, soll sie verhindern, dass Menschen überhaupt erst ihre Wohnung verlieren. „Die Prävention ist die effektivste Hilfe, die man geben kann“, sagt Meyer. Dazu gehöre auch, „dass niemand mehr durch Einstellung der Sozialhilfe seine Wohnung verliert“.
Wie Monika Schmolke berichtet, kommt es dazu häufig durch das vielfach kritisierte BAGS-Programm „Hilfe zur Arbeit“, mit dem die Behörde versucht, die Zahl der Sozialhilfe-EmpfängerInnen zu drücken. Wer sich nicht darum bemüht, Arbeit zu finden, etwa mehrfach Stellen ablehnt, dem wird die Sozialhilfe gestrichen. Das wiederum führt dazu, dass die Bezirksstelle zur Wohnungssicherung die Mietschulden des Betreffenden nicht übernehmen darf, weil die Fortzahlung der Miete nicht gewährleistet ist. Und schon landet wieder einer draußen vor der Tür.
Die MitarbeiterInnen der integrierten Fachstelle, die von Wohnungslosigkeit Bedrohte rundum betreuen, sollen so etwas verhindern. Sie, so die Hoffnung, kennen ihre Kunden und wissen einzuschätzen, wer ein „Drückeberger“ ist und wer ein sozialer Notfall, der Unterstützung braucht, bis er wieder soweit ist, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Struck und Schmolke plädieren dafür, den Zwang zur Kooperation als Vorraussetzung für die Gewährung von Sozialhilfe ganz abzuschaffen.
Für das Pilotprojekt erhält das Bezirksamt Nord fünf zusätzliche MitarbeiterInnen. Die Zahl sei von der BAGS zusammen mit vielen anderen Akteuren, etwa den Trägern der freien Wohlfahrtspflege ausgeknobelt worden, versichert Meyer. Auch der Personalrat gab schließlich sein O.k. Überdies sei eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts ausgehandelt worden, sagt Sieglinde Frieß von der Gewerkschaft ÖTV.
Um Obdachlosen normale Wohnungen anbieten zu können, hat die Bags eine Rahmenvereinbarung getroffen, nach der die städtischen Wohungsunternehmen 80 Wohnungen in Nord anbieten sollen. Die Behörde garantiert die Zahlung der Miete und deckt das Risiko einer möglicherweise nötigen gründlichen Renovierung der Wohnung. Weitere Vereinbarungen mit den Wohnungsgenossenschaften sollen folgen, so dass am Ende rund 150 Wohungen im Angebot wären. Michael Struck befürchtet allerdings, dass unter den geltenden Mietobergrenzen für Sozialhilfe-Empfänger lediglich Wohnungen in armen Vierteln angeboten werden können, so dass es dort zu einer Häufung von Problemen kommen könne.
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