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Stimmengewirr der Machtlosen

Bundestagsdebatte zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen: In puncto Raketen-Abwehrschild zeigt sich die Regierung dialogorientiert, die CDU begeistert, die FDP leicht kritisch – nur die PDS ist vehement gegen die Weltherrschaft der Amerikaner

von BETTINA GAUS

Wenn die USA ein Raketenabwehrsystem installieren wollen, dann können die Europäer sie daran nicht hindern – ob sie diesen Plan nun für sinnvoll halten oder nicht. Um sich wenigstens ein Mitspracherecht zu sichern, liegt es deshalb im deutschen Interesse, den Dialog mit Washington darüber in Gang zu halten. Hinsichtlich dieser Kernaussagen stimmten gestern die meisten Redner in der Bundestagsdebatte über die transatlantischen Beziehungen überein. Zugleich wurde allerdings bei fast allen Beteiligten das Bemühen spürbar, Unterschiede zu betonen, um das eigene parteipolitische Profil zu schärfen.

Am weitesten preschte der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe vor: Er äußerte sich uneingeschränkt positiv zu den Raketenabwehrplänen der USA, von denen er sich „einen gewissen Schutz“ erhofft und in denen er darüber hinaus Chancen für einen Abrüstungsprozess im Bereich nuklearer Offensivwaffen sieht. „CDU und CSU halten es für richtig, diese Chance im Grundsatz zu ergreifen“, sagte Rühe. Das unterscheide die Union vom „Durcheinander“ in der Regierungskoalition und ihrem „unprofessionellen Stimmengewirr“.

Außenminister Joschka Fischer wies die Kritik zurück. Viele Fragen im Zusammenhang mit dem geplanten Raketenabwehrsystem seien offen. Bisher sei völlig unklar, ob es machbar und finanzierbar sei und wo es überhaupt disloziert werden solle. Fischer: „Aber Volker Rühe ist bereits dafür.“ Der höre nicht die Signale – er ahne sie. Die Position der Bundesregierung zum Thema sei eindeutig: Eine Raketenabwehr dürfe nicht zu einem neuen Rüstungswettlauf führen. Fischer erinnerte an die Ankündigung seines indischen Amtskollegen, im Falle einer chinesischen Aufrüstung mit entsprechenden Gegenmaßnahmen zu reagieren. Der Außenminister sagte aber auch: „Die Entscheidung über die Frage einer Raketenabwehr wird in den USA getroffen.“

Gernot Erler von der SPD teilt diese Einschätzung. Es sei deshalb „lächerlich“, jetzt den „Popanz einer Ja-Nein-Entscheidung“ aufzubauen. Auch Karl Lamers (CDU) hält es nicht für realistisch, zu glauben, die Bundesrepublik könne „allzu großen Einfluss auf US-Entscheidungen nehmen“. Gerade deshalb sei es wichtig, „dass Europa in dieser Frage mit einer Stimme spricht“. Der langjährige Außenpolitiker der Union hatte sich kürzlich sehr viel kritischer zu den Plänen der USA geäußert als sein Parteifreund Rühe. Gestern rückte Lamers von dieser Position vorsichtig ab und erklärte, das Projekt biete eine Chance, „über den europäischen Tellerrand hinauszuschauen“.

Eine grundsätzlich ablehnende Haltung zum Raketenabwehrsystem nahm gestern allein die PDS ein. Wolfgang Gehrcke wies darauf hin, dass die Interessen der USA und Deutschlands nicht in jedem Fall „deckungsgleich“ seien, und richtete heftige Vorwürfe an die Adresse Washingtons: „Die USA streben nach Weltherrschaft, und Weltherrschaft muss abgelehnt werden.“

Eine wichtige Rolle spielten gestern auch unterschiedliche Bewertungen der jüngsten Bombenangriffe auf den Irak. „Der Einsatz war notwendig und richtig und hat unsere Unterstützung verdient“, sagte dazu Volker Rühe. Ganz anders wertet die FDP die Aktion. Das Vorgehen stehe „in einem wirklichen Missverhältnis“ zwischen guten Absichten und Ertrag, sagte ihr Vorsitzender Wolfgang Gerhardt. Gerade unter Freunden müsse auch Kritik an derartigem „selbst legitimiertem Werk“ möglich sein. Gerhardt zeigte sich verwundert, dass Außenminister Fischer in Washington dafür nicht die Kraft aufgebracht habe.

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