: Die Seuche lässt sich Zeit
In Damme gehen die Gerüchte von Mund zu Mund: Den Beamten in Brüssel, Berlin und Hannover kommt MKS gerade recht
aus Damme THOMAS GERLACH
Die Entwarnung kommt durch die Lüfte: Keine Maul- und Klauenseuche in Damme, meldet NDR 2. Trotzdem versaut Bauer Hans-Peter Lampe die Stimmung. „Die Frage ist nicht, ob die Seuche kommt, die Frage ist, wann sie kommt!“ Lampe, Chef des Landvolkverbands aus Damme, ist zum Gasthof Schweizerhaus gekommen, auf seinen Hof lässt er längst keinen mehr. Eigentlich könnte alles stehen bleiben: Er blickt auf die Desinfektionsschleuse neben der Straße. Hier beginnt der Sperrbezirk, er drückt aufs Telefon, etwas stimmt nicht, kein Netz vielleicht, er drückt und drückt: „Ach was, haben ja schon genug angerufen!“ und stopft es in die Weste, keine Telefonate mehr.
Ein Auto mit Anhänger rauscht vorbei. „Da, der fährt einfach durch!“ Lampe schaut dem Wagen hinterher, zwei Pferdehintern sind zu sehen. „Na, hat sich ja sowieso erledigt.“ Tiertransporte müssen immer noch durch die Schleuse, müssen langsam über die Folie fahren, durch einen Nebel von Ameisensäure und Wasser, wie das Postauto eben, das von Hof zu Hof eilt und dabei den Virus verteilen könnte wie die Werbung für eine Lotterie. Die meisten Autos sind eh an der Schleuse vorbeigefahren. Na, was soll’s? Offiziell wird der Sperrbezirk erst um Mitternacht aufgehoben, aber die Sache ist vorbei. Jetzt kann sich Hans-Peter Lampe wieder um seine 30 Kühe und 500 Schweine kümmern, jetzt wird auch wieder die Milch abgeholt. Höchste Zeit! Die Tanks sind voll, 1.000 Liter hat er schon in die Gülle gekippt. Oder 800 Mark. Die 100 Schweine können nun auch zum Schlachthof.
Die Krise bleibt
Sektkorken werden trotzdem nicht knallen. Lampe wird Bier trinken mit den anderen Bauern, vielleicht einen Korn drauf, das schon – drei Tage Anspannung müssen irgendwie weg. Sie werden das Bier entspannter trinken als auf den Krisentreffen. Die Milchbauern und Schweinemäster aus Damme und Umgebung können Luft holen, aufatmen werden sie nicht. Die Sitzungen sind vorbei – die Krise bleibt. Die Seuche lässt sich Zeit, sie foppt die Bauern, sie ist gerade in Frankreich an Land gegangen. 40 Jahre war sie weg, jetzt beginnt sie ihre Reise durch Europa und kommt irgendwann auch in den Landkreis Vechta. Hans-Peter Lampe steht da, als will er sie persönlich empfangen: Zigarette im Mund, Hand in der Tasche, neben sich den Allradwagen, drinnen der Hund. Kassandra wäre stolz.
Kann man denn nichts machen? „Bei Bayer liegen sofort 100.000 Impfdosen bereit. Und über eine Million sind tiefgefroren. Wenn man jetzt anfängt, hat man in zwei Wochen Impfschutz.“ Die Rechnung wäre einfach. Wenn es Brüssel nicht gäbe. „Nur weil das Fleisch nach Übersee exportiert wird, dürfen wir seit zehn Jahren nicht mehr impfen.“ Warum? Geimpfte Tiere haben Antikörper wie solche Tiere, die durchseucht sind. Diese schleppen die Krankheit weiter, die geimpften sind immun. Kein Veterinär kann das unterscheiden, also gibt es keine Impfungen mehr seit 1991. „Die Jahre danach hatten wir noch Impfschutz, doch die gesamten Bestände sind längst ausgetauscht.“
Hans-Peter Lampe ist sich sicher: Ohne Impfung wird die Seuche aus Frankreich kommen, wie die Schweinepest vor ein paar Jahren mit den Ferkeln aus Süddeutschland kam. Warum denn Ferkel aus Bayern? „Das sind seit 30 Jahren gewachsene Strukturen.“ Dort sind die Züchter mit den Sauen im Nebenerwerb, hier sind die Mäster mit den Läufern im Haupterwerb. Die Ferkel, die hier geboren werden, würden die Ställe nicht füllen. Ob nun Tiertransporte rollen oder nicht, bei der heutigen Mobilität werde der Virus reisen. „Übrigens, gegen die Schweinepest darf auch nicht geimpft werden!“ Lampe redet, holt aus dem Auto einen Zettel, vom Posten des Technischen Hilfswerks plärrt ein Radio herüber. „Hier, ist aus dem Internet: In Argentinien impfen sie seit Montag letzter Woche!“ Die Meldung zieht Kreise, die Verbitterung wächst. Argentinien erlaubt, Brüssel verbietet. Die Seuche haben beide am Hals.
Die EU-Hauptstadt mit ihren Beamten und Kommissaren ist zur Metropolis geworden, die Bauern in einen Schlund stopft und frisst. Vernichtungstheorien machen die Runde – moderne Spökenkiekerei: Die Osterweiterung und der Beitritt Polens, die Seuche käme da manchem vielleicht ganz gelegen, das würde viele Höfe beseitigen, die deutsche Landwirtschaft solle weg. Hans-Peter Lampe kennt solche Reden, nun ja, beweisen lässt sich nichts. Hannover, Berlin. Brüssel – überall Obrigkeit, überall Feinde, ein neuer Bauernkrieg. Gerüchte, Theorien, in den letzten Tagen gingen sie von Mund zu Mund. Hans-Peter Lampe ist eines klar: „Wenn die Polen bei ihren Stundenlöhnen so produzieren wie wir hier, sind wir weg vom Fenster.“ Mit oder ohne Maul- und Klauenseuche. Lampe steigt ins Auto, die Männer vom Technischen Hilfswerk knipsen Erinnerungsfotos. Vielleicht sehen sie sich hier bald wieder. Josef Brokamp aus Mühlen spricht von Flächenbrand, einer Feuersbrunst aus prallen Tierkadavern.
Ein freier Bauer
Mühlen mit seinen 1.000 Einwohnern liegt außerhalb der Sperrbezirks. Backsteinrot leuchtet das Dorf in der Märzsonne, am Abend leuchtet vom Kirchturm die Uhr, aus dem Gasthof tönt Blasmusik, das Kolping-Orchester probt – heile niedersächsische Bauernwelt: wortkarg, katholisch und arbeitsam. Josef und Hildegunde Brokamp sitzen im Wohnzimmer, an der Wand hängt der Stammbaum: 600 Jahre Bauerntum sind hier verwurzelt. Josef Brokamp thront im Lehnstuhl, mächtiges Schnitzwerk über sich – blaue Augen, schmaler Oberlippenbart, Lederweste, Samthose, Hemd. Hier sitzt ein freier Bauer auf freiem Grund, blickt durch große Fenster auf sein Land und ist misstrauisch. „Ich habe einige hundert Schweine, dazu Legehennen und ein paar Kühe.“ Konkreter wird er nicht, zumindest was den Tierbestand angeht. Entweder die Impfung oder die Seuche, eines von beidem wird kommen, das glaubt auch Brokamp.
„Wir sitzen doch hier jeden Abend und gucken in den Nachrichten, wie das mit der Seuche weitergeht.“ Und sehen täglich die Kadaver. „Jeden Abend! Nee, das macht keinen Spaß!“ Brokamp kommt langsam in Fahrt. „Die Impfung ist zu teuer, sagen die.“ Die da in Brüssel, Berlin und Hannover. „Das bezahlen wir doch selbst! Ein paar Mark pro Tier und Jahr. Ja, was glauben Sie denn, was billiger ist?“ Seine Hand geht zum Fernseher, der dunkel ist und schweigt, doch heute Abend wird er wieder brennende Tiere zeigen. Josef Brokamp wird lebhaft in seinem Stuhl. In Hongkong werde Fleisch von erkrankten Tieren gegessen. „Das ist doch völlig unbedenklich!“ 600 Jahre Bauerntum hin oder her, wie die Dinge stehen, wird er sowieso der Letzte sein. Der Sohn studiert Jura. Den Hof? Nein, den wolle er nicht. „Das können wir ihm nicht mal verdenken. Der hat die Schweinepest miterlebt. Da wurde auch nicht geimpft. Das hat gereicht.“ Der Lehnstuhl, auf dem schon die Vorfahren gesessen, ist zum Schleudersitz geworden. Massentierhaltung, Legebatterie, BSE, Schweinemastskandal und nun die Seuche – Josef Brokamp weiß, dass jedes Wort ausreicht, die Bauern zu ruinieren, zusammengenommen ist es der landwirtschaftliche GAU.
Brokamp hat viele Argumente, um die Schlagwörter zu entkräften. „In den zurückliegenden Jahren gab es pro Schwein einen Rohgewinn von 30 Mark!“ Selbst bei 1.000 Schweinen komme da nicht viel zusammen. Dann müsse man noch Reparaturen, Investitionen abziehen. „Bei den Auflagen hier in Deutschland kostet ein Schweinemastplatz 700 bis 1.000 Mark, in Frankreich aber nur die Hälfte, in Spanien noch weniger. Mit diesen Leuten konkurrieren wir!“ Josef Brokamp hat noch viel auf Lager: Kälberhaltung, Entlastungsschlachtung, Pflanzenschutz, Maisanbau. Die Zeit reicht nicht. „Wer wird denn einfach so Medikamente an Tiere füttern, die einen Haufen Geld kosten? Und wer sagt denn, dass ein großer Stall schlechter sein muss als ein kleiner?“ Und die Handelsketten diktieren sowieso die Preise.
Gülle und Hasen
Josef Brokamp lehnt sich zurück. Er ist für die CDU im Gemeinderat. „Wir hatten gestern Sitzung. Erstmals seit dem Kriege können wir den Verwaltungshaushalt nicht ausgleichen.“ Die Gewerbesteuern sind eingebrochen, die Fleisch verarbeitenden Betriebe machen kaum noch Umsatz. Hildegunde Brokamp hat noch einen Wunsch: „Das ist hier eine sehr schöne Gegend, und die Leute sind fleißig. Schreiben Sie das.“ Gegen die Seuche wird es nicht helfen, aber vielleicht kommen Touristen. Der Landkreis Vechta ist verrufen wegen der Gülle. „Dabei haben wir einen der höchsten Hasenbestände Deutschlands! Das ist doch auch ein Indikator!“, schickt Bauer Brokamp hinterher.
Am späten Abend hat es Kollege Hans-Peter Lampe in die „Tagesthemen“ geschafft. Die Bilder von den qualmenden Kadavern kommen heute aus Frankreich. „Die Frage ist nicht, ob die Seuche kommt, die Frage ist, wann . . .“ Lampe wiederholt seinen Kassandraruf vor großem Publikum. Eine ganze Region spricht ihm nach. Ein Landmaschinenhersteller aus Damme hat heute schnell noch Kartoffeltechnik ausgeliefert. Rein präventiv.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen