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Die Ritter von der Schaumstoffmatte

■ Auch Oldenburg torkelt im Tanzrausch. Ein Zwischenbericht von den 5. Balletttagen

Unbeeindruckt vom hinzugekommenen dritten „t“ finden Balletttage wieder eine wirklich gute Balance zwischen eingängigeren Publikumslieblingen - wie dem Cullberg Ballet (Stockholm) oder der Companie Drift (Zürich), die schon ein Abo auf das Oldenburger Publikum haben - und drastischen ErneuerInnen. Dazu gehört sicher Wim Vandekeybus „Ultima Vez“. Nach dem rein männlich besetzten „In spite of wishing and wanting“ aus 1999 war die deutsche Uraufführung „Scratching the inner fields“ jetzt mal rein weiblich besetzt. Der Flame geht damit als der wohl wichtigste europäische Choreograph seinen Weg konsequent weiter. Denn für Vandekeybus sind Körper im Tanz immer explizit männlich oder weiblich. Und da der ganze Salat, der dazwischen abläuft, nicht nur im Alltag, sondern oft genug auch auf der Bühne aus den Klischees nicht rauskommt und nur noch nervt, ist diese Suche nach den ureigenen Sinn- und Sehnsüchten überfällig – und daher so aufregend. Entdeckte Vandekeybus mit “in spite“ hinter der Gewalt träumende, wimmernde, nackte kleine Jungs, die er zum Schluss mit Watteschneebällchen beregnen ließ, geht er diesmal mit den Frauen weniger zimperlich um. Sie kriegen's knüppeldick. Passend zum aufgeschichteten Scheiterhaufen fallen Äste vom Himmel, die sie zu erschlagen drohen. Aber nicht tun. Denn schließlich demontieren die Tänzerinnen und Schauspielerinnen in dieser multimedialen und spartenübergreifenden Performance im ironischen Spiel ihr Ausgangsmaterial, das da gängigerweise Weiblichkeit heißen könnte.

Sie gehen dabei drastisch und teils gewaltvoll über markierte Bewegungsgrenzen hinweg, und was etwa Laura Aris Alvares dabei um ihren Kopf herum immer mit ihren Beinen zustande bringt, wenn sie zu einer spiegelverkehrter Spinne mutiert die irgendwie die Hüftgelenke falsch rum eingesetzt hat, das ist einfach surreal. Die Texte von Peter Verhuist aus seinem Buch „Zwellend Fruit“ (schwellendes Obst) wirken teils wie ein ironischer Kommentar, auf einer anderen Wirklichkeitsebene vor sich hin brabbelnd, verloren gegenüber dieser geballten weiblichen Authentizität, die vom live mitarbeitenden dröhnenden E-Beat gepuscht wird: „Scratching“ ist einerseits reine Dekonstruktion. Andererseits wird zwischen diesen ganzen verschiedenen Ebenen – Ton, Tanz, Malerei, Licht, Schauspiel, Kostüm – etwas Tieferes sichtbar, das wir dann doch wieder Weiblichkeit nennen wollen.

Irgendwie ist das überhaupt gerade ziemlich Mode im Tanztheater: ein bisschen Video, etwas Text, und schon heißt das ganze Performance. Gelingt aber nicht immer. Vor allem dann nicht, wenn man sich über das Ziel, zu dem man diese Mittel einsetzt, nicht vollständig im Klaren ist. So ging es offensichtlich Rui Horta (Ex „S.O.A.P“) mit „Blindspot“. Nicola Carofiglio ist der Advocatus Diaboli, der denn Rest der Gruppe leitet, aufstachelt, auslacht. Denn ein Ritter in Schaumstoffrüstung zirkelt sein kleines Territorium ab, eine Frau im Knappenkostüm steht vor einem Bildschirm, der ein Stück Himmel zeigt. Ein Stück Freiheit, jenseits des kleinen Feldes, in dem jedeR der TänzerInnen sich abgrenzt, um sich gegen Massendruck zu behaupten. Der wird wiederum illustriert – da es der Tanz eben nicht alleine schafft – über großflächige Projektionen von Bienenstöcken und Fischschwärmen. Einzelnes Aufbegehren aus der Konformität sucht nach Begegnung und dabei entstehen gerade zwischen den Männern einige wunderbar zärtliche Anklänge, die sich selbst sogleich wieder unterbinden. Hätte Horta dem Ritter die Schaumstoffmatte etwas früher abnehmen lassen, die vom Kampf um Annäherung erschöpfte Frau etwas früher mit ihm auf das Lager sinken lassen, das pendelnde Gewicht der Welt vor dem Bildschirm nicht immer höher gehängt und sich auf ein Thema konzentriert, das er tänzerisch untersucht, und hätte er auf die Hellsichtigkeit der Musik der Lower-Eastside-Veteranen John Zorn und Elliot Sharp vertraut – ja dann wären wundervolle Einzelszenen nicht so am Ganzen verschenkt.

A propos verschenkt: Den Einstand des neuen Oldenburger Tanzensembles MS-Schrittmacher konnte man sich nämlich wirklich schenken. Die „Spiele der Erwachsenen“ bauten leider sehr auf - allerdings perfekten - tänzerischen Slapstick, mit dem ein Reigen von der Pubertät bis zum Altersda-sein auf dem Balkon amüsant aufbereitet werden sollte. Ohnesorg'sch, so zu sagen. Dass das Oldenburger Tanzpublikum etwas anderes verdient hat und vertragen kann, zeigte aber wieder mal Irina Pauls mit ihrer „als ob: Suite“. Denn das sperrige Werk thematisiert Tanz an sich und seine Mechaniken der Symmetrien und Spiegelungen zur eigens komponierten Live-Musik des „Oh-Ton“ Ensembles. Eine spröde, schwer zugängliche Arbeit, die aber einmal mehr deutlich machte, wie eigen und wandlungsfähig die Sprache der Pauls ist und dass Oldenburg ein Stück künstlerischer Originalität zunächst eingebüßt hat. Marijke Gerwin

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