: Lebenslang Gabelstapler fahren
■ Sozialpolitikerin Karoline Linnert (Grüne) kritisiert die Neustrukturierung der Sozialämter: Die Reform ersetzt Sozial- durch Arbeitsmarktpolitik
Ein Moloch wird neu sortiert: Die Ausgaben für soziale Hilfen betragen im Land Bremen rund 950 Millionen Mark. Bislang werden die Hilfeberechtigten in vier Ämtern für Soziale Dienste beraten. Für arbeitssuchende Sozialhilfeempfänger ist die Werkstatt Bremen, ein eigenständiger Betrieb der Stadt, zuständig. Aber alles soll anders werden. Die Reform unter den Stichworten „fordern und fördern“ sieht in Zukunft zwölf stadtteilnahe Anlaufstellen vor: die Sozialzentren, in denen so genannte Fallmanager arbeiten. Sie sollen im Herbst ihre Arbeit aufnehmen. Parallel dazu wird schon im Sommer die Werkstatt Bremen mit Teilen der Arbeitsverwaltung zusammengelegt, um für die Arbeitssuchenden ein breit gefächertes und vor allem bei einer Institution angesiedeltes Angebot vorzuhalten – von der Qualifizierungsmaßnahme bis zur befristeten Stelle nach dem Bundessozialhilfegesetz.
Die Umstrukturierung ist vor allem bei den Arbeitslosen- und Sozialhilfeberatern umstritten. Einerseits, weil die Ausgaben der Sozialzentren in Zukunft von einem Budget gedeckelt werden, weil also gespart werden soll. Andererseits, weil die Reform manche Sozialhilfeempfänger in Jobs drücken würden, die dazu vielleicht gar nicht imstande sind. Die taz sprach mit der grünen Sozialpolitikerin und Fraktionschefin Karoline Linnert.
taz: Die neuen Sozialzentren sollen stadtteilorientiert arbeiten und ihre „Kunden“, also die Sozialhilfeempfänger, lebensnäher beraten. Begrüßen die Grünen dieses neue Konzept?
Karoline Linnert: Wir finden den Stadtteilbezug richtig, und was wir auch richtig finden ist, dass die Fallzahl, die ein Sozialhilfesachbearbeiter, oder neudeutsch Fallmanager, betreuen muss, kleiner wird.
Laut Bundessozialhilfegesetz haben Sozialhilfeempfänger Anspruch auf individuelle Hilfe und die besteht aus Beratung, aus Geldleistung und aus Sachleistung. Im Moment ist es so, dass die Berater diesen Aufgaben wegen der hohen Fallzahlen nicht gesetzeskonform nachkommen können.
Was ist falsch am neuen Konzept?
Völlig verkehrt finden wir, den Sozialzentren Budgetvorgaben zu machen und dieses Budget auch noch regelmäßig runterzufahren. Das erhöht den Druck auf die Sachbearbeiter. Sie sollen doch die Leute so beraten, dass die wissen, was ihnen zusteht. Die Gefahr ist gegeben, dass das nicht mehr gewährleistet ist, dass man sie sogar rausdrängt aus der Sozialhilfe, obwohl sie Anspruch hätten.
10.600 von den 50.000 Bremer Sozialhilfeempfängern sind arbeitssuchend gemeldet. Gleichzeitig gibt es 5.000 freie Stellen. Muss man daraus nicht schließen, dass das alte System der Vermittlung nicht funktioniert?
Diese Zahlen werden einem immer entgegengehalten, aber die freien Stellen passen in aller Regel nicht zu den Menschen, die arbeitssuchend sind. Ich sage nicht, dass der Staat sich nicht darum bemühen soll, das ein bisschen passender zu machen – eine Aufgabe von Weiterbildung und Fortbildung.
Nun sagen aber einige – auch Mitarbeiter von Beschäftigungsträgern – es gebe eine Anzahl Sozialhilfeempfänger, die könnten durchaus eine Stelle annehmen, wollen das aber nicht.
Natürlich gibt es die. Die kommen klar mit der Sozialhilfe, nebenbei machen sie gar nichts oder arbeiten schwarz. Das ist strafbar, aber es gibt einen Markt. Da muss dann jeder mal bei sich selbst und in seinem Bekanntenkreis nachgucken, ehe er sich entrüstet. Im übrigen gibt es doch jetzt schon die Möglichkeit, Sozialhilfe teilweise oder ganz zu entziehen, wenn jemand sich offenkundig verweigert.
Wer lieber abhängt, als einen Job anzunehmen, macht sich aber nicht strafbar.
Ich kenne das Argument. Aber insbesondere bei Jugendlichen bin ich der Meinung, dass sie Anspruch auf eine Perspektive haben. Welche Arbeitsplätze werden denn geboten? Wenn man für einen Jugendlichen nichts anderes zu bieten hat, als ihn einen Gabelstaplerschein machen zu lassen, dann wird er davon nie eine Familie ernähren können. Die Sozialhilfe und auch das Arbeitslosengeld müssen auch – nicht nur, aber auch – verhindern, dass die Spirale von Qualität und Bezahlung der Arbeit immer weiter nach unten geht. Es gibt eine Reihe von Menschen, die zu recht sagen: unter den Bedingungen mach' ich das einfach nicht.
Neben den Sozialzentren geistert ja auch das neue Konstrukt der Arbeit GmbH herum. Sie berät die Fallmanager, welches Jobangebot auf welchen Klienten passt. Das Geld muss dann aber doch der Fallmanager freigeben.
Das stört uns am meisten an dem neuen Konzept. Es hat ja gute Gründe gegeben, die Arbeitsförderung von den Sozialämtern zu trennen – damit nicht einzelne Sachbearbeiter gegen die Ansprüche der Hilfeempfänger handeln. Jetzt wird die Werkstatt Bremen zu einer Dienstleistungsorganisation gegenüber den neuen Sozialzentren degradiert. Die schlagen dann für einen Hilfeempfänger vielleicht eine längerfristige, aus fachlicher Sicht sinnvolle Qualifizierungsmaßnahme vor. In den Sozialzentren reicht aber das Budget dafür nicht. Am Ende macht der, um den es geht, doch nur den Gabelstaplerschein. Das heißt die Ausstattung der Sozialzentren wird die Inhalte dominieren und das ist falsch.
Staatsrat Knigge sprach davon, dass Kriterien festgelegt werden müssten, wer überhaupt zu den Fallmanagern kommt und für wen also nach einer Arbeit oder Beschäftigung gesucht wird. Die anderen, die nicht vermittelt werden können, bekommen sogenannte sichernde Sozialhilfe.
Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, oder was? Auf wundersame Weise entscheidet irgendjemand, wer in Arbeit orientiert wird und wer nicht? Herr Knigge bedient leider immer nur seine Hebel Arbeit, Arbeit, Arbeit. Das wird aber der Realität des Sozialstaates nicht gerecht. Sozialpolitik ist nicht das gleiche wie Arbeitsmarktpolitik!
Schon heute ist es so, dass eine große Anzahl von Menschen bei der Werkstatt Bremen landet, die Suchtprobleme haben oder sogar wohnungslos sind: Schon jetzt funktioniert diese Unterscheidung also nicht. Und ganz sicher werden wegen der Einhaltung der Budgets in Zukunft noch mehr Leute in Arbeit orientiert. Und wenn sie das nicht können und nicht machen, dann kriegen sie gekürzt und gestrichen. Sozialpolitisch ist das ein absolutes Unding.
Fragen: Elke Heyduck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen