: „Keine großen Hoffnungen“
Mohammed Dahlan, Chef des palästinensischen Sicherheitsdienstes in Gaza, über die Erwartungen an Israels neue Regierung und die Möglichkeiten, die Gewalt zu beenden
taz: Was erwarten Sie von der neuen israelischen Regierung unter Ariel Scharon?
Mohammed Dahlan: Scharon muss sich entscheiden, ob er den Friedensprozess, den wir 1992 begonnen haben, fortsetzen will. Wir haben keine großen Hoffnungen. Sein Vorschlag einer dauerhaften Interimslösung ist für uns nicht akzeptabel. Wir befinden uns seit zehn Jahren in einer Interimslösung. Das Problem ist, dass in Israel dauernd die Regierungen wechseln. Erst Rabin, dann Netanjahu, dann Barak, jetzt Scharon. Wir haben mit Barak eine Annäherung der Positionen erreicht und können jetzt nicht wieder bei Null anfangen. Nach acht Jahren sind die Standpunkte klar. Wir kennen sämtliche Positionen sämtlicher israelischen Parteien. Unsere Forderungen sind klar: Wir wollen den Staat Palästina auf dem Gebiet bis zur Grenze von 1967 mit der Hauptstadt in Ostjerusalem.
Sie haben Scharon bei den Verhandlungen in Wye-Plantation persönlich kennengelernt. Welchen Eindruck hatten Sie?
Ich werde Scharon nach dem beurteilen, was er in Zukunft tut. Die Geschichte hat ihn schon verurteilt. Selbst die Israelis verbieten ihm, Verteidigungsminister zu werden. Aber als Premier ist er okay. Wenn er bereit ist, ernsthafte Verhandlungen zu führen, ist er willkommen, aber wenn er seine Artillerie auf uns hetzt, dann macht er einen Fehler.
Scharon hat vor einigen Monaten die Regierung Barak zu Ihrer Exekution aufgefordert. Ihr Büro ist bereits bombardiert worden. Haben Sie Angst?
Ich sitze hier, wie jeden Tag, in meinem Büro und gehe nicht weg. Die israelische Exekutions-politik wird zu harten Reaktionen führen. Scharon könnte der Gewalt ein Ende machen. Wenn die Israelis glauben, dass sie mit Ausreisesperren und der Zurückhaltung unserer Gelder Ruhe bringen, dann irren sie.
Könnten Sie die Gewalt beenden?
Wir dürfen nicht vergessen, warum die Intifada begann. Es war Scharon, der auf den Tempelberg ging und damit die Gewalt auslöste. Die Frustration im Volk ist nach acht Jahren Friedensprozess, der keine sichtbare Veränderung brachte, ungeheuer groß. Die Leute sind wütend darüber, dass Israel die Besatzungspolitik fortsetzt.
Könnte die Frustration im Volk die Führung gefährden?
Die Beziehung zwischen der Führung und dem Volk sind völlig intakt. Wenn das Volk das Gefühl hat, dass seine politischen Rechte erfüllt werden, dann wird es keine Gewalt mehr geben. Wir verstehen das Volk und hören ihm zu. Wir sehen die Not. Ich sage nicht, dass es überhaupt keine Probleme gibt, aber das sollte man nicht überbewerten.
Kürzlich starben acht Israelis bei einem Terroranschlag. Arafat hat den Anschlag verurteilt. Warum tut er nichts, um weitere Attentate zu verhindern?
Was könnte er tun?
Die Aktivisten der Widerstandsbewegungen verhaften, die er im Oktober aus dem Gefängnis entlassen hat.
Wir haben die Hamas-Leute verhaftet, solange wir uns mit Israel in einem Friedensprozess befanden. Warum sollten wir die Aktivisten jetzt noch festhalten? Ist es kein Terror, wenn unsere Männer exekutiert werden und wenn Bomben auf Zivilisten geworfen werden? Solange die israelischen Aggressionen andauern, verurteile ich die Terroraktionen nicht. Ich werde keinen Palästinenser am Kampf gegen Israel hindern. Wir müssen das Recht haben, uns selbst zu verteidigen.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL
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