: „Wir haben Angst vor der Rache der Armee“
In Lisec, einem Dorf in den Bergen nahe Tetovo, wollen die albanischen Bewohner Verhandlungen und ein Ende der Kämpfe
TETOVO taz ■ In der Dorfkneipe von Lisec läuft der Fernseher. Das Programm: CNN. Strom gibt es also noch, und so erreichen die Programme aus aller Welt das Dorf, das auf 1.300 Meter Höhe liegt und von wo aus sich ein herrlicher Blick auf das Tal von Tetovo und Gostivar bietet. Und auf die Burg Kale, wo die Kämpfe zwischen makedonischen Sicherheitskräften und albanischen UÇK-Rebellen stattfinden.
Übersetzt werden die Nachrichten des US-Senders für die Gäste in der Kneipe von Paul Tabi, einem US-Amerikaner albanischen Ursprungs. In Lisec regen sich die Leute vor allem über das staatliche Fernsehen aus Skopje auf, das „falsch“ über den Konflikt berichte. In den Bergen, die die Grenze zum Kosovo bilden, war am Samstag ein Hubschrauber der makedonischen Armee abgestürzt. Auf die Frage, ob die UÇK-Rebellen den Hubschrauber abgeschossen hätten, gibt es nur ein Achselzucken. „Hier bei uns gibt es keine UÇK, wir haben nur Angst vor der Polizei und der Armee“, sagt ein Mann. Frauen und Kinder seien noch hier, hielten sich aber in den Häusern auf. „Hier können wir nicht mehr lange durchhalten, die Straße ist gesperrt, nur ein Pfad durch die Berge ist noch offen. Wir haben fast keine Lebensmittel mehr. Die Kranken haben keine ärztliche Versorgung.“
Die größte Angst indes haben die achthundert Einwohner von Lisec vor einer Aktion der makedonischen Armee. „Sie werden sich wegen der UÇK an uns rächen wollen.“ Keiner in Lisec wolle einen Krieg. „Wir sind dafür, dass die UÇK mit der Regierung verhandelt“, sagt Paul Tabi. Unter dem zustimmenden Nicken der anderen Dorfbewohner fügt er hinzu: „Wir wollen nur unsere Gleichberechtigung, wollen Albanisch als zweite Amtssprache, Mitbestimmung im Staate. Das ist doch nicht zu viel verlangt.“
Es sind auch junge Männer in der Kneipe, ein Hinweis darauf, das die „nationale Befreiungsarmee“ UÇK nicht alle jungen Albaner des Dorfes mobilisiert hat. Und dass auch die Organisation im zivilen Bereich hinter der der Ortschaften im Tal zurückfällt. In den Dörfern entlang der Straße, die östlich von Tetovo nach Jeshince verläuft, wurden am Donnerstag Zivilschutzräte gebildet. Und die funktionieren. Seit die makedonischen Sicherheitskräfte vom Stadion der Stadt aus auf die UÇK-Stellungen in den gegenüberliegenden Bergrücken schießen, ist eine Umgehungsstraße angelegt worden. Im Nu waren Bagger und Walzen herangeschafft, schon nach drei Stunden war die ungeteerte Straße für den Verkehr freigegeben. Paul Tabi ist überrascht. Dass diese zivilen Stäbe die Bevölkerung organisieren, dass sie eventuelle Evakuierungen vorbereiten, all das ist hier im Dorf neu. „Das gibt es bei uns nicht.“
„Wir haben gestern Nacht nur von hier oben gesehen, wie sich ein langer Zug von Flüchtlingen von Tetovo aus in Richtung Gostivar in Bewegung setzte.“ In der Tat hatte sich in der Nacht zum Montag die Frontlinie in Tetovo in westlicher wie auch in östlicher Richtung ausgeweitet. Häuser gerieten durch den Beschuss in Brand. Die albanische UÇK hatte der makedonischen Artillerie nur leichtes Feuer aus Kalaschnikows entgegenzusetzen.
„Helft uns, gebt uns Waffen“, hatte während der Feuergefechte ein Albaner gerufen, der in einer Gruppe von Menschen die Szenerie beobachtete. „Nicht wir sind die Terroristen, sondern die makedonische Miliz.“ Dann schritten die Männer in der Nachbarschaft zur Tat. Ein paar Stunden darauf setzte sich ein Konvoi aus Autos, Lastwagen und Traktoren in Bewegung. Albanische Frauen, Kinder und alte Menschen wurden trotz der von der Regierung verfügten Ausgangssperre aus dem westlichen Stadtteil evakuiert. Und das haben die Bewohner von Lisec beobachtet.
„Jetzt sind nur noch wenige Frauen und Kinder beider Volksgruppen in der Stadt“, berichtet der Begleiter des Berichterstatters den Dorfbewohnern von Lisec. Die makedonischen Familien seien nach Skopje und in die östlichen Landesteile, die albanischen in die westlichen Landesteile und die umliegenden Dörfer geflohen, die bislang von den Kämpfen verschont geblieben sind. Die makedonischen Männer kehrten aber anschließend zurück. Und die, so habe er vernommen, „sollen nun Waffen von der Armee erhalten“.
Die Stimmung in Lisec ist gedrückt. „Wenn Zivilisten Waffen ausgehändigt bekommen, dann wird es noch gefährlicher“, sagt einer. Gerade ist lautes Dröhnen aus dem Tal zu hören. Die Artillerie der makedonischen Armee hat den Beschuss der UÇK-Stellungen wieder aufgenommen. ERICH RATHFELDER
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