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Deutungshoheit beim Zuschauer

■ „Wenn ich keine Bilder mehr machen kann, dann bin ich tot“: Die letzten Filme des niederländischen Dokumentaristen Johan van der Keuken im Metropolis

Den letzten seiner über 45 Filme widmete Johan van der Keuken sich selbst. Es hätte mit Recht ein selbstmitleidiger Film werden können. Denn van der Keuken wusste zu diesem Zeitpunkt bereits, er würde bald an Krebs sterben. Die großen Ferien (1999), mit dem das Metropolis seinen Blick zurück auf die letzten drei Dokumentationen van der Keukens eröffnet, wäre jedoch kein Film von ihm, wenn er sich selbst nicht möglichst weit zurückgenommen hätte.

Van der Keuken, der im Januar dieses Jahres gestorben ist, beginnt Die großen Ferien mit der Diagnose seiner Ärzte. Seine Frau, Noshka van der Lely, habe, als er es ihr erzählte, gesagt, sie sollten nun reisen. Viele Filme des Niederländers, zu denen van der Lely den Ton weniger beisteuerte als gleichberechtigt mit den Bildern komponierte, sind im internationalen Ausland entstanden. Im Grunde setzte das Paar seine Tätigkeit also lediglich fort: Aufzeichnen und Komponieren. Immer wieder angetrieben von Auseinandersetzungen van der Keukens mit seiner Krankheit, reisen die beiden nach Bhutan, nach Burkina Faso, van der Keuken allein nach Brasilien, zu Filmfestivals in Paris oder San Francisco. Erstmalig – denn er weiß nicht, wie lange er die Aaton Filmkamera noch wird tragen können – stattet sich van der Keuken zusätzlich mit einer digitalen Kamera von Panasonic aus. Was also auch ein Film über die eigene Arbeitsweise ist, probiert nun schon wieder Neues aus.

Van der Keuken war ein ungewöhnlich nachdenklicher Dokumentarfilmer. Die Frage, die ihn umtrieb, „Was ist Wirklichkeit?“, inwiefern ist eine Dokumentation auch Fiktion, hat er immer wieder durch Kommentare in seinen Filmen an das Publikum weitergegeben. Seine Arbeit zeichnet sich durch bedächtige Bilder und zurückhaltende Kommentierung aus und nicht zuletzt durch die Eigenständigkeit, die er dem Ton eingeräumt hat.

In To Sang Fotostudio machte van der Keuken, der bereits mit 17 sein erstes Fotobuch veröffentlichte, 1997 erstmalig die Fotografie zum Hauptthema. Im Studio des portraitierten chinesischen Fotografen in der Amsterdamer Albert Cuypstraat treffen Menschen aus allen Nationen zusammen. Abermals liest van der Keuken am Prozess des Abbildens, der doch Wirklichkeit sein soll, eine instabile Mischung ab aus Dokument, Inszenierung und den Wünschen der Fotografierten.

Die Objekthaftigkeit der Menschen, denen sich die Kamera nähert, wusste van der Keuken immer wieder zu unterlaufen, etwa, wenn er in Die großen Ferien unzählige Kinder in der Sahelzone ihre Namen sprechen lässt, aufgenommen in der individuierenden Naheinstellung, anstatt wie üblich in einer auf die Hungerbäuche und das Mitleid der Zuschauer gerichteten Halbtotalen. Und auch in dem vierstündigen Epos Amsterdam Global Village zeichnet er die Menschen aus aller Welt, die in Amsterdam leben, nicht einfach nur auf: Er folgt ihnen an die Orte, aus denen sie kommen, und gibt ihnen jeweils eine Geschichte, zu der für van der Keuken immer auch soziale Verhältnisse gehörten.

Christiane Müller-Lobeck

Die großen Ferien: Do, 21.15 Uhr; To Sang Fotostudio (mit Leben mit deinen Augen von Ramon Gierling): So, 19 Uhr; Amsterdam Global Village: Di, 19 Uhr; Metropolis

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