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„Gutes Projekt – aber nicht hier“

Die Wut der Hohenfelder gegen eine Heroinambulanz in einer ehemaligen Polizeiwache in der Lübecker Straße ist resistent gegen Argumente und Erfahrungen  ■ Von Sandra Wilsdorf

Damit niemand auf die Idee kommt, brave Bürger lehnten Drogenabhängige an sich ab, begannen die Stellungnahmen am Mittwochabend in der Aula des katholischen Sankt Ansgar Gymnasiums fast alle mit: „Das ist ein gutes Projekt.“ Und dann folgte: „Aber nicht hier.“ Die Bezirksversammlung Hamburg Nord hatte zu der öffentlichen Anhörung über die geplante Heroinambulanz in einer ehemaligen Polizeiwache an der Lübecker Straße geladen. Gekommen waren etwa 200 Bürger, überwiegend Anwohner und Eltern, deren Kinder die Schulen im Umkreis besuchen.

Und sie sind sich fast alle einig in ihrer Angst davor, die Heroinambulanz könnte ihre Kinder drogensüchtig machen. „Die bringen doch ihr soziales Umfeld mit“, befürchtet einer. Ein anderer weiß, dass viele nicht nur von Heroin abhängig sind, und sich doch deshalb ganz schnell auch die Dealer einstellen würden. Und mit ihnen die Szene. „Und dass sich niemand darum kümmert, wenn die Szene da ist, wissen wir ja.“ Applaus. Einer fragt: „Wo lungern die denn rum?“ und weiß auch gleich die Antwort: „Na in den U-Bahntunneln, durch die die Kinder gehen.“

Die Stimmung heizt sich immer mehr auf. Eine Mutter springt auf: „Ich habe gebetet, dass meine Kinder nicht drogenabhängig werden. Und jetzt sollen Tausende von Kindern jeden Tag an Drogenabhängigen vorbeigehen müssen.“ Ihre Stimme kippt. Einer ruft Thomas Menzel vom Landeskriminalamt „Du Arsch“ zu, als er das Projekt verteidigt. Die anwesende Gesundheitssenatorin Karin Roth (SPD) wird immer schmallippiger.

Alle schreien durcheinander, brüllen ihren Ärger heraus und überhören, was die eingeladenen Experten zu sagen haben. Professor Dieter Naber vom UKE ist „bestürzt über die Vokabeln, mit denen Sie diese Menschen belegen. Ich glaube, Sie sind sich nicht darüber im Klaren, dass sie schwer krank sind.“ Gekreisch unterbricht seine Ausführungen. „Danke für die Toleranz.“

Barbara Mühlheim, Leiterin der Heroinambulanz in Bern, ist eingeflogen worden, um zu berichten: „Als wir 1994 angefangen haben, hatten wir die gleichen Veranstaltungen wie hier.“ Aber die Menschen hätten inzwischen erfahren, dass ihre Ängste unbegründet sind und würden den monatlichen Runden Tisch kaum noch besuchen. „Wir nehmen die Interessen der Anwohner genauso ernst wie die der Abhängigen.“

Es gebe enge Kooperation mit der Polizei, eine strenge Hausordnung und Sanktionen für die, die sie nicht einhalten. Kein Herumhängen vor oder nach der Einnahme, keine anderen Drogen, keine Hunde. „Bern ist Bern und Hamburg ist Hamburg“, wischen Hohenfelder die Argumente vom Tisch. In ihrem Stadtteil könne das nicht funktionieren, „dass Hamburg nicht in der Lage ist, mit solchen Problemen umzugehen, sehen wir ja in der Sternschanze“, sagt einer – und erntet Jubel.

Genauso wie die Frau, die sich damit brüstet, dass sie den Drogenabhängigen in ihrem Haus nur „rausgekriegt hat, weil ich vier Jahre lang Tagebuch geführt habe“. Über Polizeieinsätze, Drogendepots, Lärm. Leichtes Spiel für die CDU, die sich als einzige der Bezirks-Fraktionen klar gegen den Standort ausspricht – natürlich nicht gegen das Projekt.

Was für die Ambulanz in der Lübecker Straße spricht, verhallt. Eine Mutter meldet sich: Sie habe drei Kinder, eines davon drogenabhängig. „Dass mein Kind drogenabhängig ist, liegt nicht daran, dass es wusste, wo es Drogen gibt, sondern weil etwas schief gelaufen ist.“ Es bleibe trotzdem ihr Kind. Sie bittet die anderen Eltern, „aufzuhören, mit den Finger auf uns zu zeigen“. Sie erwarte vielmehr, „dass die Gesellschaft Menschen wie meinem Kind hilft“. Achtungsapplaus. Trotzdem sagt eine Anwohnerin danach über Drogenabhängigkeit: „Das ist doch oft auch eine selbst gewählte Lebensform.“

Eine Schülerin des gastgebenden Gymnasiums dankt, dass sich die Erwachsenen so um die Schüler sorgen, „aber vielleicht fragt uns mal jemand?“ Dann würde sie nämlich sagen, dass sie Projekt und Standort okay fände. „Glauben Sie denn, dass wir nie am Hauptbahnhof vorbeikommen, nie in die Disko gehen, nicht im Schanzenviertel oder St. Georg wohnen?“ Sie findet peinlich, dass sich in den Räumen einer katholischen Schule alle auf das „Nächstenliebe ist toll, aber bitte woanders“ verständigen.

Wo woanders ist, weiß niemand. „In einem Krankenhaus“, wird immer wieder gefordert. Dr. Klaus Behrendt, Leiter der Abteilung Sucht am Klinikum Nord wird schließlich genötigt, dazu etwas zu sagen. Er windet sich, kann nicht für den Landesbetrieb Krankenhäuser (LBK) sprechen und gibt schließlich nur zu bedenken, dass die Frage nach dem Standort in alle Richtungen geprüft wurde, und dass beispielsweise AK St. Georg, „mit seiner Klientel ohnehin schon schwer belastet ist“.

Tatsächlich hat der LBK sich angeboten, die Sache zu übernehmen. Nun hat LBK-Chef Heinz Lohmann das Angebot bekräftigt und noch einen draufgelegt: Der LBK würde sich auch um die Standortfrage kümmern. „Das heißt allerdings nicht, dass es ein Krankenhaus sein muss“, sagt LBK-Sprecher Siegmar Eligehausen. Auch an die Drogenambulanzen, in denen Abhängige mit Methadon substituiert werden, würde die Heroinambulanz nicht angedockt werden. Christina Baumeister, Drogenbeauftragte des Senats, sagt dazu: „Es ist noch keine abschließende Entscheidung gefallen, aber die Lübecker Straße ist der einzige konkret vorgeplante Standort.“ Und Karin Roth versichert: „Ich bin für geeignete Alternativen offen.“

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