MEXIKO: DER PRÄSIDENT MUSS SICH BALD MIT DEN INDIOS EINIGEN: Keine Zukunft ohne Verfassungsreform
Auf ein Gipfeltreffen zwischen Mexikos Präsident Vicente Fox und Guerillero Subcomandante Marcos werden die Medien also noch eine Weile warten müssen. Viel entscheidender jedoch ist, dass die Aufständischen sieben Jahre nach ihrer Kriegserklärung dem Parlament – der wichtigsten Tribüne des „neuen Mexiko“ – nun immerhin die Vorzüge indigener Autonomie erklären dürfen. Ob ihnen dies gelingt, ist angesichts der rassistischen Ignoranz mancher Parlamentarier fraglich. Dabei wäre es so einfach: In der Verfassung soll nichts anderes verankert werden als das Recht auf indigene Differenz und Selbstorganisation.
Es geht nicht um einen Maya-Staat im Staate oder um back to the roots. Es geht um die schlichte Anerkennung der Tatsache, dass zehn Millionen Mexikaner zugleich Indigene sind, die das auch in der globalisierten Moderne gerne bleiben wollen. Menschen, die auch mexikanische Staatsbürger sind – aber eben nicht nur. Dieser Anspruch auf Diversität, also auf im weitesten Sinne kulturelle Demokratie, ist in der postkolonialen Republik noch immer eine Provokation. Dass der Pragmatiker Fox dies tatsächlich verstanden hat, darf bezweifelt werden. Zwar unterscheidet sich die offensive Umarmungsstrategie des neuen Präsidenten erheblich vom repressiven Stil seiner Vorgänger. Aber ein konzeptioneller Kurswechsel in der staatlichen Indio-Politik, der über den Abzug von Militärs und die Freilassung von Gefangenen hinausgeht, ist bisher nicht zu erkennen. Noch immer fungieren altbackene Paradigmen wie „Integration“ und „Entwicklung“ als Leitmotive, noch immer ist Indiopolitk in erster Linie Sozialpolitik – heute ergänzt um Investitionsförderung und Mikrokredite. Auch unter „Frieden“ – nach der „Demokratie“ das Zauberwort von Fox’ „neuem Mexiko“ – dürften der Präsident und die Zapatistas etwas grundsätzlich Verschiedenes verstehen.
Paz bedeutet für den Wirtschaftsliberalen Fox in erster Linie Ruhe im Land. Den Indio-Rebellen geht es dagegen erklärtermaßen um Respekt. Dass weder das eine noch das andere ohne eine Verfassungsreform zu haben sein wird, wissen sie beide.
Was immer das mexikanische Parlament in den kommenden Wochen zu beschließen gedenkt: Seit dem indigenen Einmarsch in Mexiko-Stadt ist die Mestizenrepublik an einem Punkt angelangt, von dem es kein Zurück gibt. „Nie wieder ein Mexiko ohne uns“, der Slogan der zapatistisch inspirierten Indio-Bewegung, ist keine Forderung mehr, sondern Wirklichkeit. ANNE HUFFSCHMID
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