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Sprengstoff im Fundament

Die IG Medien ist in der Gewerkschaftsriesin Ver.di aufgegangen und bildet nun die kleinste der 13 Fachgruppen. Was bedeutet das für die Vertretung der dort organisierten Journalisten, „wenn diese besoffene Stimmung erst einmal vorbei ist“?

von RALPH WILDNER

„Die werden sich noch umschauen, wenn diese besoffene Stimmung erst einmal vorbei ist.“ Gegen Ende des Gründungskongresses der „Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft“ Ver.di wollte ein Delegierter der IG Medien aus dem Schwäbischen seine Unzufriedenheit nicht verbergen. Die Masse der 1.000 Delegierten und 4.000 Gäste war allerdings in eher euphorischer Stimmung, nachdem sie im Berliner Internationalen Congress-Centrum (ICC) drei Tage lang an der weltgrößten Einzelgewerkschaft mit fast drei Millionen Mitgliedern mitgestrickt hatten.

Im Schummerlicht der ICC-Säle und vielleicht nicht ganz unbeeinflusst vom realen Freibierpegel der zahlreichen Abschluss- und Auftaktfeiern waren die kritischen Stimmen aus dem Vorfeld der Fusion tatsächlich kaum noch zu hören gewesen. Wenige Tage später herrscht ausgerechnet bei den Funktionären der Gewerkschaft, die mit „nur“ 80 Prozent die geringste Zustimmung zu Ver.di gegeben hatte, große Zuversicht: die IG Medien.

Es war ein Gemeinschaftsprojekt von IG Medien und der Gewerkschaft HBV, das der frisch gewählte Vorsitzende Frank Bsirske als beispielhaft für die Arbeit der „neuen“ Gewerkschaft Ver.di herausstellte: „Connexx. av“ ist ein unkonventionelles Modell zur Betreuung der Beschäftigten im Privatrundfunk. Viel beachteter Erfolg von Connexx.av ist, dass es die Gründung von Betriebsräten in der rätefreien Welt der New Economy angeschoben hat. An MitarbeiterInnen der Internetfirma Pixelpark hatten sie E-Mails geschickt, anstatt Flugblätter vor dem Fabriktor zu verteilen, und für sie ein Diskussionsforum im Internet eingerichtet.

Abschied von der klassischen Bürokratie

„Connexx.av“ ist zur Metapher für ein neues Zeitalter der Gewerkschaftsarbeit geworden. Der stellvertretende Berliner Landesbezirksvorsitzende Andreas Köhn erklärt gegenüber der taz den Erfolg: „Es ist als eigenständiges Projekt aus den Strukturen der Gewerkschaft herausgelöst und kann frei agieren, weil nicht alles durch irgendwelche Gremien muss.“

Der Abschied von der klassischen Gewerkschaftsbürokratie ist für Köhn der Schlüssel zum Erfolg bei jungen ArbeitnehmerInnen. Er ist davon überzeugt, dass die IG Medien „den noch schwerfälligen Apparaten der ÖTV und der DAG auf die Sprünge helfen“ und damit „richtungweisend für Ver.di“ sein wird.

Die IG Medien als kleinste der fünf Fusionskandidatinnen sieht wesentliche Elemente ihrer Struktur in den Aufbau des Zusammenschlusses übernommen. Sie bildet fast vollständig den neuen Fachbereich 8 unter 13 weitgehend autonomen Fachbereichen. Diese sind jeweils in Fachgruppen unterteilt, insgesamt rund einhundert, die wiederum weitgehend selbständig handeln können.

DJU als quicklebendige, autonome Fachgruppe

Frank Werneke, Hauptvorstandsmitglied der IG Medien, erläutert dies im taz-Interview am Beispiel der „Deutschen Journalisten-Union“ (DJU), die die Printjournalisten umfasst: „Die IG Medien macht etwa 7 Prozent der Ver.di-Mitglieder aus, in der DJU alleine sind 21.000 organisiert. Innerhalb ihres Fachbereiches wird die DJU als Fachgruppe weiterhin autonom und quicklebendig sein.“

Durch diese fein gegliederte Organisationsstruktur sollte das Misstrauen der kleinen Organisationen besänftigt werden – mit gutem Erfolg. Die Konkurrenz dagegen bleibt kritisch: „Ich bin skeptisch, ob man Größe in Einfluss umsetzen kann“, sagt Siegfried Weischenberg, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), gegenüber der taz. Für ihn sind die Kommunikationsprobleme, die mit der Größe entstehen, mit „den Händen zu greifen“.

Der DJV, konzentriert auf hauptberufliche Journalisten, habe es leichter, eine Identität zu entwickeln. Den neuen Berufen in der Kommunikationsbranche wende sich, bestärkt durch den Connexx-Erfolg, auch der DJV zu: „Wir haben gerade einen neuen Internet-Auftritt gestaltet und zusätzlich zum Referenten für neue Medien eine Stelle für journalistische Telekommunikation ausgeschrieben.“

Trotz der Konkurrenzsituation zählt er darauf, „weiterhin kollegial und solidarisch“ mit den Ver.di-Fachgruppen aufzutreten. „Es wäre für die Arbeitgeber zu schön, wenn wir uns auseinander dividieren ließen.“

Ein gemeinsames Projekt kann es schon in diesem Jahr geben: Es steht die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes an, und DJV wie IG Medien/Ver.di fordern vor allem eine Änderung: Sie wollen den „Tendenzschutz“-Paragrafen abgeschafft sehen, der die Arbeit der Betriebsräte vor allem in Medienbetrieben einschränkt: Sie könnten sonst Einfluss auf die Tendenz des Unternehmens nehmen.

Bessere Karten gegenüber den Verlegern

Frank Werneke freut sich auch in dieser Beziehung über das Gewicht von Ver.di: Gegen den massiven Druck der Zeitungsverleger hätten die Gewerkschaften jetzt bessere Karten, und er sieht eine gewisse Ähnlichkeit zum Erfolg der Riesenorganisation ADAC – von dem er sich gleichzeitig entschieden distanziert. „Der härteste Brocken aber wird sein, ob sich der „Medienkanzler“ Schröder mit den Verlegern anlegen will“, so Werneke.

Ver.di gibt sich kampflustig. Hatte Frank Bsirske schon mit der prall gefüllten Streikkasse geklingelt, so betont Andreas Köhn die Streitkultur, die die IG Medien mit einbringe. Ob sie sich nach außen oder nach innen wenden wird, ob 13 Fachbereiche vereint wirken werden oder 100 autonome Fachgruppen und noch autonomere Projekte die neue Lust am neuen Bruderzwist entdecken und damit Sprengstoff in ihr Fundament einbauen, das will derzeit aus gutem Grund noch niemand ernsthaft vorhersagen.

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