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Das Leid des A. Berg

■ In der Glocke spielte das furiose Hagen-Quartett nicht nur Schubert und Berg, sondern auch Ehebruch und lästige Kinder

Einem Streichquartett-Abend haftet doch irgendwie etwas Spießiges an. Gedämpfte Stimmung, auf der Bühne eine Stehlampe mit mild-gelbem Licht, vier Stühle auf denen vier ältere, vernünftige Herren sitzen, die miteinander in einen gepflegten instrumentalen Dialog treten, der die wohlwollende Zustimmung gesetzter Damen und Herren findet. Das hat zwar auch seine Reize. Man kann sich dies Erlebnis gediegener Unterhaltung auch, ohne das Haus zu verlassen, verschaffen, indem man die Stereoanlage anschmeißt, die Stehlampe ins akustische Zentrum rückt und sich darunter plaziert, gegebenenfalls mit einem guten Buch oder einer international renommierten Wochenzeitung.

Und doch ist es lohnend, zuweilen einen Abstecher in die philharmonischen Kammerkonzerte zu machen, zumal wenn wie am Sonntag abend ein so renommiertes Ensemble wie das Hagen-Quartett gastiert. Lohnend insbesondere dann, wenn ein Programm geboten wird, das alles andere verspricht, als gepflegte Unterhaltung.

Das Hagen-Quartett brachte uns zwei Quartette zweier unvernünftiger Komponisten mit, die Leben, Liebe und Leidenschaft allenfalls an der Oberfläche in den Griff bekamen. Das Brodeln darunter ist Thema der zu Gehör gebrachten Werke, in denen sie ihr eigenes Innenleben meisterlich und auf das packendste in Töne gesetzt haben.

Alban Berg hat sein 1926 entstandenes zweites Streichquartett dazu missbraucht, die Geschichte eines Ehebruchs zu schildern, seines eigenen Ehebruchs. Er erzählt sie überwiegend in Schönbergs 12-Tonsystem und gibt ihm die Form von sechs, fast mathematisch exakt ausgezirkelten Szenen. Freundschaftliches Kennenlernen hört man da, entfachtes Feuer, flüchtige Berührungen, heimliche Leidenschaft, durch reizende Kinder zuweilen gestört, Angst vor Entdeckung und zuletzt ein Tristan-Zitat: nicht der Liebestod, sondern das Motiv der Sehnsucht, die zum Tode führt.

Dem Ensemble gelang eine detailgenaue, höchst spannende Umsetzung dieser geheimen Tagebücher, die den Zuhörer fasziniert teilhaben ließ, auch wenn ihn zuweilen das schlechte Gewissen darüber plagte, sich eingeschlichen zu haben und das Ohr nicht abwenden zu können von Lust und Leid des Alban Berg.

Aus der fatalen Rolle des Voyeurs entließ den Zuhörer auch das zweite Werk des Abends nicht, Schuberts 100 Jahre zuvor entstandenes Streichquartett in G-Dur, ein ebenso höchst gewichtiges und düsteres Werk, auch Wiener Ursprungs, aber keineswegs gemütlich. Melancholisch schon, aber hoch dramatisch, sich ins großformatige Erzählen sinfonischen Typs auswachsend und sich damit von der Wiener Klassik emanzipierend. Schubert erzählt besessen, verzweifelt, bang hoffend und legt damit – ebenso wie später Alban Berg – sein desaströses Innenleben bloß. Erinnerungen, Wiegenlieder, Schrammelmusik, hochpathetisches Ringen und der Versuch, mit heiter-schmissigen Weisen Dunkles zu verdrängen: Das alles zeigt einen psychischen Zustand, den allenfalls Sigmund Freud hätte angemessen therapieren können. Diese Möglichkeit war Schubert allerdings, wie wir seinen Lebensdaten entnehmen können, anders als Alban Berg verschlossen.

Schuberts spätes Werk erfuhr durch das Hagen-Quartett eine subtile und Abgründe schroff ausleuchtende Interpretation. Ihm bei der Arbeit zu zusehen – insbesondere den tieferen Registern – war ein Erlebnis der besonderen Art. Schrilles, Gespenstisches, Sentimentales und Gewaltiges, die Musiker spielten es – Risiken nicht meidend – voll aus. Vielleicht wäre manches bei mehr gestalterischer Zurückhaltung eindringlicher geworden – dennoch wird der Abend mit Sicherheit lange im Gedächtnis haften. Sehr heftiger Beifall war der Dank des ferienbedingt nicht übermäßig zahlreich erschienenen Publikums. Mario Nitsche

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