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Gender-Hopping, auch mal traurig

■ Manfred Karge, Bremer „Tasso“-Darsteller und Faust- Regisseur, überzeugt nun in Bremerhaven auch als Autor mit seinem sozial-engagierten Monolog „Jacke wie Hose“

Der erste Eindruck: Da sitzt ein Mann auf der Bühne. Die Lederjacke, die Haare, der Schnurrbart, die ganze Haltung – ein alter Mann, umgeben von zwei hohen Wänden aus leeren Bierkisten, rote Plastickisten, auf den Kopf gestapelt, ebenso wie der Boden, auf dem er sich bewegt, nur aus Kisten besteht. Doppelter Boden und auf den Kopf gestellte Welt: Der Er ist eine Sie. Er heißt Max, sie heißt Ella. Max war ihr Mann, aber nach seinem frühen Tod legt Ella die Frau ins Grab und lebt als Mann namens Max weiter. Denn Max hatte Arbeit, und ohne Arbeit wäre sie in der Zeit der großen Arbeitslosigkeit verloren gewesen. Das ist die Ausgangslage, die Versuchsanordnung, die der Autor Manfred Karge seinem Stück „Jacke wie Hose“ zugrunde legt.

Karge erzählt die Geschichte einer Frau aus der Unterschicht von den 30-ern bis Anfang der 60-er Jahre. Es ist eine Überlebensgeschichte, in der die Frau nur einen Ausweg sieht. Sie wechselt immer wieder ihre Identität, indem sie ihr Geschlecht wechselt.

Aber ihr Spiel ist gefährlich, es macht sie nicht frei, es führt sie in die Zelle. Um ihr Geheimnis zu hüten, darf sie vor keine Musterungskommission, also verdingt sie sich im Krieg als Gefängnis-Wärter der SA. Nach dem Ende des Faschismus wieder schwere Männerarbeit auf dem Land, dann „Hebeldrücken“ in einer Kistenfabrik. Jetzt lässt sie Max sterben, um als Frau des Chefs angenehmer weiterzuleben. Am Ende landet sie dort, wo alles angefangen hat, bei Nagel&Söhne, bei der Firma ihres Mannes Max, schließlich in der Rente und vor dem Fernseher.

Da sitzt eine alte Frau mit dem Gesicht eines alten Mannes auf der Bühne: Wenn sie in den Spiegel sieht, träumt sie von Schneewittchen, sie träumt den Traum ihres ungelebten Lebens: Sie möchte so weiß wie Schnee sein, so rot wie Blut, so schwarz wie Ebenholz, wie es ihr Max in der ersten Liebesnacht zugeflüstert hat. Manfred Karge – Regisseur („Faust“ in Bremen), Schauspieler und Autor in einer Person – hat einen bühnenwirksamen Monolog geschrieben, eine saftige Rolle für eine Charakterdarstellerin. Und Christel Leuner spielt unter der Regie von Henning Bock, als sei ihr diese Figur direkt auf den Leib geschrieben.

Ellas Lebensbericht ist eine Mischung aus Alltagssprache und poetischer Form. Die schlichte Sprache verwandelt sich in rhythmisch gebundene Prosa und gereimte Verse, dazwischen gestreut sind Lied- und Schlagerfragmente. Der Text und die Geschichte haben etwas streng Stilisiertes, Gleichnishaftes – darin scheint der Brecht-Jünger Karge seinem Meister zu folgen. Aber Christel Leuner holt alle Qualitäten aus dem Material heraus, 75 Minuten hält sie mit ihrer Verwandlungskunst das Publikum in Bann: Mit wenigen Bewegungen wechselt sie die Rollen.

Sie muss nur die zum Zopf gebundenen Haare lösen, um zur Frau zu werden, sie sitzt breitbeinig auf Bierkisten, sie bewegt sich mit schweren Schritten und gekrümmtem Rücken wie ein alter Mann, vor allem lernt sie trinken wie ein Mann: Schnaps und Bier (da spielt Karge auf Kafkas Menschwerdung des Affen an). Sie setzt die leere Flasche an den Mund und brüllt: „Ich bin ein deutscher Mann!“ Aber Christel Leuner lässt deutlich durchblicken: Diese Frau will eine andere sein und fragt sich mit Verzweiflung: Wo komme ich her? Wo will ich hin?.

So wie die aus 400 Bierkästen errichtete Bühne von Jörg Kiefel keinen Ausgang bietet, so ist Ella zwischen ihren zwei Wänden eingesperrt. Ihr Leben ist eine Zelle. Christel Leuner spielt diese Verzweiflung mit einer Komik, die niemals ins Klischee umkippt. Sie agiert mit einer Leichtigkeit, hinter der die Kraft der Sehnsucht zu spüren ist: Wenn am Schluss das Bühnenlicht verschwindet, leuchtet ein Rot hinter den Kistenwänden. Ein fernes Licht, so fern wie der Traum vom Schneewittchen. Heftiger Beifall für die kluge, dezente Regie, das prägnante Bühnenbild und für eine große Schauspielerin, die aus einer Kunstfigur einen wahren Menschen macht. Hans Happel

Weitere Vorstellungen im Stadttheater Bremerhaven: 28.3., 5.4., 7.4., 25.4.

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