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Kraftnahrung für schräge Vögel

Vier Hanfhaus-Geschäftsführer stehen wegen Handels mit Vogelfutter aus Cannabissamen vor Gericht. Anwälte wollen eine Entscheidung des Verfassungsgerichts

Einen vergleichbaren Rechtsstreit hat es in der bundesdeutschen Justizgeschichte noch nicht gegeben: Ist der Handel mit Hanfsamen ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und somit strafbar oder nicht? Diese Frage beschäftigt seit gestern das Amtsgericht Tiergarten, vor dem sich zwei amtierende und zwei ehemalige Geschäftsführer des Berliner Hanfhauses wegen das Handels mit 50 Kilogramm Cannabissamen verantworten müssen.

Das Hanfhaus betreibt zehn Filialen in Berlin und dem Bundesgebiet mit über 150 Produkten von Kleidung über Lebensmittel bis Kosmetika. Im Frühjahr 1999 fand im Hanfhaus eine groß angelegte Durchsuchungsaktion statt, bei der palettenweise Hanf-Lollis, Bier, Lebensmittel und auch 944,9 Gramm Hanfsamen beschlagnahmt wurden. Nach Laboranalysen sämtlicher Produkte durften sich die Hanfhaus-Betreiber die Sachen wieder bei der Polizei abholen.

Nur die Samen, die als „Hänfling-Hanf-Kraftnahrung für Vögel“ deklariert waren, blieben konfisziert. Auf diese Körner stützt die Staatsanwaltschaft nun ihre Anklage, „um sich nicht eine Aktion Wasserschlag eingestehen zu müssen“, steht für die Verteidigung fest. Die Staatsanwaltschaft wirft den Geschäftsführern vor, in der von ihnen betriebenen Gesellschaft insgesamt 50 Kilogramm Cannabissamen verkauft zu haben. Die Ware sei in Tütchen à 10 Gramm zum Preis von 8,90 bis 25 Mark zum Zwecke des unerlaubten Anbaus gewinnbringend an die Kundschaft gebracht worden. Dass Missverhältnis zwischen den 50 Kilo und den beschlagnahmten 944 Gramm wird mit der Aussage eines Kronzeugen gestützt, der in der Schweiz großflächig Cannabis angebaut und dieses nach Deutschland vertrieben hatte. Er ist deshalb 1999 in Berlin zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

Der Anbau von Cannabis war bis 1978 erlaubt. Samen konnten bis 1998 verkauft werden. Dann hatte die alte Bundesregierung die Hanfkörner in die Liste der verbotenen Stoffe aufgenommen, sofern diese zum unerlaubten Anbau bestimmt sind. Für die Angeklagten und ihre Anwälte ist allerdings klar: Der Handel mit Hanfsamen kann kein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz sein, weil die Samen kein THC enthalten. Das ist die Substanz, die Rauschzustände erzeugt. Sie beantragten daher gestern, den Prozess auszusetzten, um die Frage des Samenverbots vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Einen Stoff, der keinerlei betäubende Wirkung entfaltet, als Betäubungsmittel zu verbieten, sei ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Das sei genauso, wie wenn man „Enthaltsamkeit zur Unzucht“ oder „Pulverzucker zu Sprengstoff“ erkläre.

Der junge Amtsrichter wies den Antrag jedoch zurück. Eine ausführliche Begründung will er am Montag, dem nächsten Prozesstag, präsentieren. Er ließ aber schon gestern keinen Zweifel daran, dass er die Rechtsauffassung der alten Bundesregierung teilt. PLUTONIA PLARRE

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