piwik no script img

Schwach gebunden an die Vorschriften

Kita-Eltern fürchten Asbest in Raumluft – Messung zwei Monate verzögert  ■ Von Kaija Kutter

„Wir wissen nicht, ob wir unsere Kinder da noch hinbringen können.“ Elske Veyhl ist verzweifelt. Seit acht Wochen ist bekannt, dass die Kita-Wagrierweg, die ihr Sohn besucht, unter Asbestverdacht steht. Vor vier Wochen wurde der Elternvertreterin mündlich mitgeteilt, dass sich der Verdacht nach Probenentnahme bestätigt hat und die Decke im Eingangsbereich „schwach gebundenen“ Asbest enthält. Veyhl: „Wir sind keine Chemiker. Wir wissen nicht, was ,schwach gebunden' bedeutet.“ Die Städtische Vereinigung der Kindertagesstätten, die die Nien-dorfer Kita betreibt, habe daraufhin lediglich zugesagt, das Haus im Sommer zu sanieren.

„Schlimm ist, dass nicht sofort eine Raumluftmessung in Auftrag gegeben wurde“, ergänzt Elternvertreterin Johanna Flamm. Denn nur so könne geklärt werden, ob die 198 Kinder die krebserregenden Mineralfasern einatmen und die Kita geschlossen werden muss. Laut Gutachten, dass die Chemieberatungsfirma „Wartig“ erstellte, finden sich die Mineralfasern in Decke und Fußbodenkleber, Außenwänden und Fensterauskleidungen. Für die Decke im Eingangsbereich attestierten die Experten Sanierungsdringlichkeitsstufe I. Die Sanierung, so heißt es im Gutachten, müsse „unverzüglich erfolgen“.

Veyhl und Flamm nutzten am vergangenen Freitag eine GAL-Veranstaltung zur Kita-Politik, um Vereinigungs-Chef Martin Schaedel direkt auf das Problem anzusprechen. Am Montag wurde die Raumluftmessung bei „Wartig“ in Auftrag gegeben. „Es stimmt, dass wir dies mit zwei Wochen Verzögerung tun“, räumte Schaedel gegenüber der taz ein. Der Sachverständige selbst habe von diesen Messungen abgeraten, da man davon ausgehen könne, „dass in der Raumluft nichts ist“. Das Asbest befinde sich unter den Deckenplatten und gelange nicht in den Raum. Trotzdem sei die absolute Gewissheit der Vereinigung nun „einige tausend Mark wert“.

„Luftmessungen macht man, wenn man Gemüter beruhigen will“, erklärt dazu der Sachverständige Konrad Schwellnus, der zum Fall selbst nichts sagen möchte. Vorgeschrieben seien diese Messungen nur nach einer Sanierung, „weil dann die Situation viel schlimmer sein kann als vorher.“ Elske Veyhl bleibt skeptisch: „Wenn das alles so ungefährlich ist, warum saniert man dann überhaupt?“ Kinder würden Räume stark beanspruchen und auch manchmal im Fußboden bohren, „da könnten bestimmt auch Fasern frei werden“.

Hans-Joachim Holtzmann vom Verein „Familien Power“, den die Niendorfer Eltern um Hilfe baten, bezeichnet das zögerliche Vorgehen der Vereinigung gar als „beispiellosen Skandal“, welches als Verletzung der Fürsorgepflicht gedeutet werden könnte. Der Asbestverdacht hätte bereits im Sommer 2000 bestanden, als die baugleiche Kindertagesstätte Vizelinstraße saniert wurde.

Schaedel weist die Vorwürfe von sich: „Wir haben zügig und sorgfältig reagiert.“ Das Asbest in der Vizelinstraße sei erst im Herbst entdeckt und ein Auftrag für die Untersuchung der fünf baugleichen Kitas im Oktober erteilt worden. In zwei Fällen habe sich der Verdacht nicht erhärtet. In der Altonaer Kita Menonitenstraße sei man fündig geworden. Auch dort werde nun die Luft gemessen. Sollten Fasern gefunden werden, „würden wir die Kinder dort nicht lassen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen