Der wahre Wahnsinn kommt erst noch

Strahleboxen ohne Ende: Noch in diesem Jahr wird eine Tonne Plutonium von Schottland nach Hanau geschafft. Und der Bundesbunker muss bis 2008 komplett geräumt werden

FRANKFURT/M. taz ■ Die Atomindustrie fordert die Bewegung weiter heraus. Noch in diesem Jahr sollen 82 plutoniumhaltige Brennelemente, die einmal für den nie in Betrieb gegangenen Schnellen Brüter (Kalkar) assembliert worden waren, von Dounreay in Schottland nach Hanau in den so genannten Bundesbunker verbracht werden. Die Brennelemente enthalten knapp eine Tonne Plutonium.

Nach Auffassung des Bundesamtes für Strahlenschutz sind für die Rückführung der 82 Brennelemente vier Transporte notwendig: alle über Land in Großbritannien, per Schiff über den Kanal zu einer deutschen Hafenstadt – und dann über Land bis nach Hanau. Doch damit nicht genug. Bis 2008 soll der Bundesbunker komplett leer geräumt werden; alle Atomfabriken dort befinden sich bereits in der Rückbauphase. Im Bunker lagern neben Resten aus der Fertigung von MOX-Brennelementen der längst stillgelegten Atomfabrik Alkem und anderen hochradioaktiven oder -toxischen Gebinden noch 123 weitere Brüter-Brennelemente. Aus dem MOX-Material (Plutonium und Uran) alleine der dann insgesamt 205 Brüter-Brennelemente könnten rund 2.000 Kilogramm Plutonium separiert werden. Stoff für etwa 400 Atombomben.

Mit dem Eigentümer der Brüter-Brennelemente, dem Energiekonzern RWE, hat das Bundesamt für Strahlenschutz jetzt offenbar einen Übernahmevertrag abgeschlossen. Die 205 Brennelemente mit Plutonium und Uran sollen noch vor 2008 aus der staatlichen Verwahrung im Bunker herausgenommen und RWE zur freien Verfügung überlassen werden. Die RWE-Tochter Schnelle-Brüter-Kernkraftwerksgesellschaft (SBK) hatte schon vor zwei Jahren Kontakt mit dem US-Energieministerium aufgenommen. In den USA nämlich gab es damals Überlegungen, den stillgelegten Brüter „Fast Flux Test Facility“ (FFTF) auf dem Gelände des US-Atomwaffenlabors in Hanford wieder in Betrieb zu nehmen. Die deutschen Brüter-Brennelemente könnten im FFTF zum Einsatz kommen. Das Bundesforschungsministerium befürwortete Ende 1999 die Verhandlungen zwischen RWE (SBK) und den US-Amerikanern. Greenpeace warnte. Die Reaktivierung der gefährlichen Brütertechnologie sei nicht zu verantworten.

Platzt der Deal mit den Staaten und ergibt sich auch keine andere Verwendungsmöglichkeit, müssten die Brüter-Brennelemente in Ahaus oder in Gorleben zwischengelagert werden, so RWE. Das bedeutetet: Wenigstens zehn Plutoniumtransporte werden bis 2008 von Hanau aus nach NRW oder Niedersachsen rollen; nicht gerechnet das andere Material aus dem Bundesbunker. Der Bund Naturschutz und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) haben Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gestern aufgefordert, der „unzuverlässigen Firma RWE“ auf keinen Fall die Brüter-Brennelemente „zu Geschäftszwecken zu überlassen“. Das „Zeug“ müsse in staatlicher Verwahrung im Bunker in Hanau bleiben – „bis zur Endlagerung“.

Kuriosum am Rande: Gestern erteilte der hessische Umweltminister Wilhelm Dietzel (CDU) der Firma Siemens die Genehmigung zur Verarbeitung von 300 Gramm Plutonium in der alten MOX-Fabrik, die gerade leer gefahren wird. Die 300 Gramm lagern seit 1994 in einem „Koffer“ im Bunker. Den hatten „deutsche Sicherheitsbehörden“ (Dietzel) aus Moskau geschmuggelt und nach München verbracht. Zwei Untersuchungsausschüsse in Bonn und in München beschäftigten sich damals mit der fingierten Aktion. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT