Der Sieg der Betonmischer

Die Erfolge der Demonstranten machen die Polizei im Wendland langsam nervös: Sie fordert immer mehr Verstärkung und mobile Gefangenenkäfige

aus dem Wendland THOMAS GERLACH
und NICK REIMER

Kurz hinter Dahlenburg stand er. Und er stand lange. Nicht nur das: Weil sich Robin-Wood-Aktivisten in Stahlrohren unter den Gleisen festgekettet hatten, hieß es am Dienstagabend sogar: Kommando zurück. Der Betonsockel, in den die Rohre eingelassen waren, erwiesen sich als harte Brocken. Der etwa 600 Meter lange Castor-Zug musste zurück in den Bahnhof Dahlenburg fahren. Dort, so die Argumentation der Polizei, konnte er die Nacht über besser bewacht werden als auf freiem Feld.

Aus den Hunderten waren in der Nacht schnell Tausende geworden. Feuer loderten. Der Castor-Zug blieb auf der Strecke, ein Menschenzug zog vor die Stadt, 5.000 immer die Straße entlang hin zum Verladebahnhof. Der war seit Tagen umstellt, der Menschenzug von drei Seiten nun auch, die Bundesstraße war Sackgasse geworden. Hundertschaften kamen gelaufen, mal zackig, mal locker. Die Castoren sollten kommen. Bloß wann? „Bei Süschendorf haben sich vier einbetoniert!“ Jubel. Lautsprecher verzerrten die Meldungen. Jede Meldung ein Sieg. Die Polizei rückte im Castorentempo vor, ein Schritt pro Stunde.

Die Scheinwerfer der Wasserkanonen leuchteten Demonstranten ab. Trockenübung. Bis kurz vor zehn. Ein Erddamm wurde geräumt, Rohre machten Regen, kein gezielter Strahl. „Der Zug steckt weiter fest!“ Wieder eine Meldung, wieder Jubel. Genugtuung. Aus den Tausenden waren wieder Hunderte geworden. Bis zum Morgen. Der Lautsprecherwagen drehte ab.

Gegen Mitternacht gibt’s Gewalt. Verbeulte Streifenwagen kommen, an den Gleisen wird randaliert. Fünf Polizisten werden verletzt, einer mit gebrochenem Bein. Und an der Tankstelle am Info-Camp scheppert der Lautsprecher. „Leute, bleibt friedlich!“ Zu spät. Lynchstimmung an der Zapfsäule. „Nazis raus!“, brüllen 50 Autonome, ein Auto ist umzingelt. Glas knirscht, Geschrei. Und Ohnmacht bei den abseits Stehenden. Der Fahrer: kurzes Haar, Basecap, das reicht offenbar. Irgendjemand hat ihn mit dem Nazi-Autoangriff am Rande der Stunkparade in Verbindung gebracht. Ein Gerücht. Das reicht. Aus Autonomen wird ein Mob – für zehn Minuten. Polizei greift ein. Der Fahrer kann sich retten. „Leute, keine Gewalt!“, ruft der Lautsprecher wieder. Viel zu spät. Keine Erfolgsmeldung um Mitternacht.

Die Straßen sind verstopft, ein Unfall, unfreiwillige Blockaden. Nervosität. Hubschrauber kreisen, leuchten die Gleise ab. Dannenberg hat einen leichten Schlaf heute Nacht. Nur äußerst langsam war der von anderthalb Dutzend Polizeihubschraubern begleitete Zug vorangekommen. Immer wieder gelang es Castor-Gegnern, sich unmittelbar vor Ankunft des Zuges zu den Gleisen durchzuschlagen. Zu nennenswerten Blockadeaktionen kam es zwar nicht mehr. Die kleinen Scharmützel mit der begleitenden Polizei kosteten aber auch ihre Zeit. Einem Anti-Atom-Aktivisten war es gar gelungen, sich von einer Brücke abzuseilen und den Zug zu entern.

Am späten Nachmittag hatten sich an dem beschädigten Gleisstück knapp tausend Castor-Gegner auf den Gleisen niedergelassen – ein Happening mit Gittaren, Trompete, DKP-Fahnen, einer Tanzgruppe und vielen Liedern. Gegen 15 Uhr allerdings begann die Polizei das Teilstück zu räumen. Nicht nur, dass dies ausgesprochen zäh vor sich ging – es nützte auch wenig. Kaum war das Teilstück frei, so wurden via Polizeifunk andere Blockaden gemeldet.

Trotz ihrer Präsenz mit über 15.000 Mann musste die Polizei gestern konstatieren, dass ihr der Schutz der Strecke sehr schwer fällt – sie forderte weitere Beamte an. Bei Redaktionschluss jedenfalls setzte sich die Castoren langsam in Bewegung.

Der Transport wird mindestens einen Tag länger dauern, je länger der Zug steht, um so teurer wird er. Das gibt den Castor-Gegnern neue Kraft. Was ist, wenn die Castoren noch länger brauchen? Vielleicht bis Freitag? Bis zum Wochenende? Am Morgen zogen Demonstranten durch Dannenberg. Am Infostand stieg Rauch auf. Warten auf den Castor. Aufräumen. Die Bundesstraße wurde gefegt. Der Bratwurststand baute wieder auf. „Meinst, dass heut noch a Geschäft wird?“ Der Chef ist unsicher. Die ersten Würste liegen auf dem Grill.

Die Straße, auf der die Castoren rollen sollen, bleibt gesperrt. Polizei lässt keinen mehr durch. Die Sicherung ist total, ein Baum, ein Auto. Die Drohung ist klar: Hier soll keiner mehr demonstrieren.

Nervosität in Hitzacker. Auf dem Bahnhof ist Polizei konzentriert. Hunderte laufen das Gleis ab. Prophylaktisch. Blockiert wird hier nicht. Noch nicht. Die Demonstranten sind aus den Erfolgen des letzten Tages gestärkt hervorgegangen. Der Einsatz lohnt sich. Jede Stunde kostet viel Geld. Das weiß auch die Polizei. Sie kündigt an, mobile Gefangenenkäfige einzusetzen.