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Von Käfern und Karbunkeln

■ Manfred Geiers „Die kleinen Dinge der großen Philosophen“

„Hier steht ein Glas Wasser“: Dieser Satz scheint kein wissenschaftliches Wässerchen zu trüben. Doch weil wir die Welt „immer schon im Scheinwerferlicht der sprachlichen Darstellungmittel“ interpretieren, gilt auch für den simplen Satz „Hier steht ein Glas Wasser“, dass er lediglich eine Vermutung sein kann – quod erat demonstrandum.

Mit einem Glas Wasser dekonstruierte seinerzeit Sir Karl Popper die empiristische Erkenntnistheorie – und passenderweise ziert ein Glas Wasser auch das Cover von Manfred Geiers Buch Die kleinen Dinge der großen Philosophen. Professor Geier, Wahl-Hamburger Jahrgang 1943, hat die simplen Sachen, die die großen Denker zu Höchstleistungen inspirierten, genau unter die Lupe genommen und dabei einige Schleichpfade zu den großen Gedankengebäuden der Philosophiegeschichte ausfindig gemacht.

Anhand von markanten Zitaten und Situationen, die um ein „kleines Ding“ kreisen – etwa die Fächerpalme, die Goethe einst auf die Idee einer „Urpflanze“ brachte („Alles ist Blatt!“) – vermittelt Geier einen Einblick in das Werk und Wirken großer Denker. Die berühmten Protagonisten befinden sich dabei stets in einer persönlichen Krisensituation, einem Wittgensteinschen „Wirrwarr“, aus dem ihnen schließlich eine neue Sicht der Dinge den Ausweg weist. Und indem die Kapitel lose aufeinander verweisen, kommt damit zugleich eine kleine Evolutionsgeschichte der Philosophie zustande.

So sieht Geier zum Beispiel eine Analogie zwischen Goethe und Marx, „der in seinem ökonomischen Studien der Warenwelt nachvollzieht, worauf Goethe als Naturforscher zielte“ – schließlich lautete beider Lieblingswort „Metamorphose“, nur dass es sich bei Marx auf einen „verrückten Tisch“ im British Museum bezog. An jenem nämlich brütete er ganze zwei Jahrzehnte lang, gebeutelt von Furunkeln und Karbunkeln, über seiner „Kritik der politischen Ökonomie“. Und eben dieser „verrückte“ Tisch, der als Ding „trivial“, als Ware aber „vertrackt“ ist, eröffnet später die berühmte Szene, in der Marx den „Fetischcharakter der Ware“ analysiert.

Unangestrengt, ohne dabei aber in irgendeiner Weise ins Oberflächliche abzugleiten, mischt Geier philosophische Fakten und priva-tistische Anekdoten und destilliert daraus seine insgesamt acht „Fallstudien“ – von Freud über Wittgenstein bis zu Rudolf Carnap. Aus der philosophischen Froschperspektive werden damit neue Annäherungen an die Theorietempel der Philosophie eröffnet, und der Fokus auf das jeweilige „Ding an sich“ sowie die plastische Darstellungsweise ergeben eine eingängige und dennoch solide Lektüre: eine anschauliche Einführung in die zeitgenössische Philosophie – und einen Wegweiser für Schleichpfade, die ruhig noch ein wenig ausgetrampelt werden dürfen.

Christian Schuldt

Manfred Geier, Die kleinen Dinge der großen Philosophen, Rogner & Bernhard bei Zweitausend-eins, Hamburg 2001, 39 Mark

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