: Spatz im Händchen
Beim „Goldenen Spatz“, Deutschlands größtem Kinderfilm- und Fernsehfestival, werden von der Kinderjury auch Filme honoriert, die in der Kritik durchfallen
von SABRINA EBITSCH
Er ist eher bescheiden, ein gemeiner Haussperling aus der thüringischen Provinzstadt Gera: Der „Goldene Spatz“ ist das größte Kinderfilm- und Fernsehfestival und eine der renommiertesten Auszeichnungen in Deutschland. Unter 60 Dokumentationen, Spiel- und Trickfilmen wurde letzte Woche 14 Mal das Vögelchen vergeben.
Dennoch geht der Spatz in der bundesdeutschen Medienlandschaft unter. Führt ein Schattendasein wie das Gros der Produktionen jenseits der „frei ab 16“-Demarkationslinie. Entsprechend dem Stellenwert, den der Nachwuchs hierzulande genießt. Programme für Kinder sind ein kapitalistisches Risiko, weil die Zielgruppe zersplitterter nicht sein könnte. Was einem Elfjährigen gefällt, passt einem Achtjährigen noch lange nicht. Und flugs sind ein, zwei Millionen in den Sand gesetzt.
Allmählich kündigt sich jedoch ein Trendwende an, verkörpert durch ihre Galionsfiguren Harry Potter und Detektiv Emil. Produktionsfirmen und Sender haben Blut geleckt: Kinder haben immer mehr Geld. Man darf Drehbuchautoren und Regisseuren, Fernsehsendern und Produzenten zwar nicht jeglichen Idealismus absprechen. „Aber mittlerweile hat man erkannt, dass sich mit Kindersendungen Geld verdienen lässt. Was ja auch nicht schlimm ist“, sagt Margret Albers, Geschäftsführerin und Festivalleiterin, und die Quoten des Kinderkanals oder von Super-RTL geben ihr Recht: Produktionen für Kinder werden tatsächlich „etwas Selbstverständliches, Ergebnis einer langen Lobbyarbeit“.
Eine Entwicklung, von der das Kinderfilmfestival profitiert. Die Besucherzahlen steigen, ebenso wie die eingereichten Beiträge, mit einem Rekord von 193 in diesem Jahr. Hinter dem Goldenen Spatz steht die gleichnamige, drei Jahre nach der Wende ins Leben gerufene Stiftung, Geldgeber sind die Stadt Gera, die Thüringer Landesmedienanstalt, MDR, ZDF, RTL und in diesem Jahr auch die Mitteldeutsche Medienförderung. Der Spatz ist nicht nur Nutznießer, sondern auch Triebfeder dieser Entwicklung. 1979 als Nationales Festival für Kinderfilme geschlüpft und unter den Fittichen des DDR-Kulturministeriums groß geworden, gibt er alle zwei Jahre einen Überblick über deutsche Film- und Fernsehproduktionen.
Über jene natürlich, von denen Erwachsene glauben, dass Kinder sie sehen sollten. Neben inhaltlicher und handwerklicher Qualität sollten Kinder die tragende Rolle spielen, Konflikte in die Hand nehmen und lösen. Die Festivalleiterin ist der festen Überzeugung, dass man das den Kindern schuldig sei. Daher die trendy-poppige Neuverfilmung von Emil mit seinen aufgeputschten Detektiven, neben Balduin, der Kanalratte, die in fünf Minuten erklärt, wo das Wasser hingeht, wenn man die Klospülung gedrückt hat. Dokumentationen über das Erdbeben in der Türkei aus den Kindernachrichten „Logo“, die WDR-Maus, die das Internet häppchenweise serviert, zwei Folgen der ZDF-Reihe „Achterbahn“ oder die Super-RTL-Spielshow „Super Toy Club“ liefen im Wettbewerb. Aber auch provozierende Streifen wie „Die Grüne Wolke“ (siehe Kasten).
In sieben Kategorien hat vergangene Woche – demonstrativ – eine Kinderjury den Goldenen Spatz vergeben. Gewinner war dann doch, obwohl bei der Kritik durchgefallen, „Emil und die Detektive“, der als bester langer Spielfilm und Anja Sommavilla für ihre Rolle als Pony Hütchen ausgezeichnet wurde. Denn die jungen Juroren setzen doch andere Prioritäten: Spannend, lustig muss es sein, platt darf es sein. Bei den kurzen Spielfilmen gewann „Die Pfefferkörner“ des NDR, in der Kategorie Information „Top Secret – Special Effects im Film“ aus der RTL-Reihe „Disney Time“.
Dieses Jahr wurde außerdem zum ersten Mal, Tribut an die virtuelle Zivilisierung, der Web-Spatz für die beste film- und fernsehbezogene Kinder-Homepage vergeben. Gewonnen hat ihn www.tivi.de, die Website zum Kinderfernsehen des ZDF, die online erklärt, was offline läuft. Der erwachsenen Fachjury blieben die Entscheidungen über die beste Regie (Dagmar Hirtz für „Küss mich, Frosch“) und das beste Drehbuch („Die Spezialistenshow“ von Laila Stieler aus der ZDF-Reihe „Achterbahn“).
Eine Preisgala ohne roten Teppich, Liveschaltungen, VIPs und tief dekolletierte Versace-Kleider. Ist ja auch nur für Kinder.
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