piwik no script img

Nur Definitionen der Wahrheit

Wie kam es zu dem neuen Debakel um die weiter von einem Baustopp betroffene Gedenkstätte „Topographie des Terrors“? Und wie geht es jetzt weiter mit der geplanten Erinnerungsstätte an die Nazitäter an der Wilhelmstraße in Kreuzberg?

von PHILIPP GESSLER

„Gehen Sie zurück auf Start!“ Ist das die Lage im Millionenspiel um die Gedenkstätte „Topographie des Terrors“? Kann das ganze Projekt noch kippen?

Klar ist, die neuesten Entwicklungen zu diesem „Ort der Täter“ sind eine Niederlage für Bausenator Peter Strieder (SPD). Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hat dem Weiterbau mit einer Kostenbegrenzung auf 76 Millionen Mark am Mittwochabend nicht zugestimmt. Doch Strieder ist zugute zu halten, dass er wie kein anderer dieses dritte Teilstück der zentralen Trias in der Erinnerungslandschaft der Bundesrepublik neben dem Holocaust-Mahnmal und dem Jüdischen Museum vorangetrieben hat. Wie konnte es dennoch zu dem Debakel kommen? Und wie geht es jetzt weiter?

Das Unglück begann am 23. März, als sich Strieder und Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD) zu einem Gespräch über die Gedenkstätte trafen. Strieder hatte eine Expertise von Bauexperten in der Hand, wie die „Topographie“ mit 76 Millionen Mark gebaut werden könnte. Er rang ihm die Zusage ab, dass der Bund bereit sei, die Hälfte der 76 Millionen zu tragen: wenn die Kosten nicht noch weiter steigen würden.

Das war eine politische Leistung Strieders, denn bisher hatte der Bund nur zugesagt, die Hälfte der ursprünglich geschätzten Bausumme von 45 Millionen Mark zu zahlen. Deshalb ging der Landespolitiker damit auch an die Öffentlichkeit. Der Durchbruch für das Projekt, für das vor sechs Jahren der Grundstein gelegt wurde, schien da.

Seltsam aber war, dass Strieder nach dieser Einigung auch dann noch weiter auf den Architekten schimpfte, als er vergangene Woche dem Senat das Votum abtrotzte, die Gedenkstätte tatsächlich für diese Summe zu bauen – trotz der mehr als prekären Finanzlage der Stadt und trotz der Tatsache, dass das Land nun mit dem Bund zusammen 31 Millionen Mark mehr für das Projekt schultern muss als ursprünglich vorgesehen.

Der Ärger Strieders wurde verständlich, als Zumthor verkündete, für 76 Millionen Mark sei sein Bau nicht zu errichten – und geeinigt habe er sich mit dem Experten auf eine Summe von bestenfalls etwa 85 Millionen Mark. Strieder hatte also nur einen Scheinerfolg erzielt. Und wer hatte gelogen: er oder Zumthor? Weder noch, so scheint es. Die Streithähne lieferten nur ihre Definition der Wahrheit.

Tatsächlich fand sich Zumthor selbst nur bereit, dem Werk noch seinen Segen zu geben, als Einsparungen durchgerechnet waren, die die Baukosten von über 90 Millionen auf die genannten rund 85 Millionen Mark senkten. Dann aber speckten die Bauexperten mit Mitarbeitern Zumthors den Bau weiter ab, so dass man schließlich auf 76 Millionen Mark kam – dazu aber gab der Meister selbst, fern in den Alpen, sein Okay nicht mehr.

Das Problem ist nämlich, dass die Bauverwaltung zwar Recht hat mit der Aussage, was mit 76 Millionen Mark gebaut werden könnte, sei ein „Zumthor“ – äußerlich ja. Der Architekt, der sich zugleich als Erfinder sieht, aber hatte im Prozess der Präzisierung seines Entwurfs nach und nach immer ausgefeiltere Vorstellungen davon, wie das Gebäude noch eleganter, ja architektonisch bahnbrechend werden könnte, und zwar durch versteckte Neuerungen, die auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen sein würden. „Absolut genial“ seien Zumthors Ideen gewesen, schwärmt selbst Strieders Sprecherin Petra Reetz. Den Experten der Bauverwaltung stünden vor Begeisterung „Sterne in den Augen“, sagt sie, „aber genial können wir uns nicht leisten“.

Kein Wunder also, dass die Haushaltsexperten im Hauptausschuss nun beschlossen, ob dieser unklaren Lage erst noch einmal einen Bericht von Kultur- und Bauverwaltung zur Gedenkstätte einzuholen. Auch der Rechnungshof soll die Kosten noch einmal prüfen. Dann wird den Haushältern noch einmal aufgezeigt, wie man etwa durch Einsparungen bei den Außenanlagen, der Inneneinrichtung und vor allem der Verglasung die Kosten senken könnte. „Theoretisch“, so sagt die Sprecherin der Bauverwaltung, könnte man dann ein Architekturbüro beauftragen, den Bau nach den Plänen Zumthors zu errichten, für die das Land die Rechte zu haben glaubt. Zumthor dagegen droht mit einer Urheberrechtsklage – dabei ist beiden Seiten klar, dass man das große Werk nur zusammen bauen kann. Aber dazu müsste erst einmal die Vernunft siegen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen