: Der unbekannte Hoffnungsträger
Auf ihrem heutigen Parteitag debattiert die SPD wieder die Koalitionsfrage. Doch diesmal zerfleischen sich die Genossen nicht. Das ist vor allem das Verdienst des Fraktionsvorsitzenden Klaus Wowereit: Plötzlich ist der Haushalts- und Kulturexperte zum Wortführer seiner Partei geworden
von RALPH BOLLMANN
Es ist einfach passiert. Er hat nicht die Ellenbogen ausgefahren wie der Landesvorsitzende Peter Strieder, der sich auf dem Weg zur Parteispitze den Ruf einer gewissen Rücksichtslosigkeit erworben hat. Er hat sich nicht alle Jahre wieder vergeblich um ein Spitzenamt beworben wie der Genosse Walter Momper, der erst an den Grünen, dann an der eigenen Basis und schließlich an den Wählern scheiterte. Er hat sich nicht bis zur Erschöpfung abgearbeitet am Koalitionspartner und an der eigenen Partei wie sein Vorgänger Klaus Böger.
Und nun ist Klaus Wowereit plötzlich da, wo Strieder, Momper und Böger immer hinwollten. Der SPD-Fraktionsvorsitzende ist der unangefochtene Hoffnungsträger seiner Partei. Käme es noch in diesem Jahr zu vorgezogenen Neuwahlen, dann würde Wowereits Kopf die SPD-Plakate zieren.
Und wenn die Koalition nicht platzt, weil CDU-Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky rechtzeitig zurücktritt? Dann wäre auch dies ein Erfolg des SPD-Fraktionsvorsitzenden. Schließlich war er es, der in der Spendenaffäre das Tempo seiner Partei bestimmte. Als erster Spitzengenosse forderte er offen Landowskys Rücktritt – und als dieser Schritt ausblieb, war er wiederum der Erste, der mit Neuwahlen drohte. Strieder und Böger folgten ihm, obwohl sie von einem Urnengang noch in diesem Jahr eigentlich überhaupt nichts wissen wollten.
Für Wowereit, sagen selbst seine Anhänger, käme eine Spitzenkandidatur zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich zu früh. Nur einer Minderheit der Berliner ist der Fraktionsvorsitzende überhaupt bekannt. Gerade erst hat der Haushalts- und Kulturexperte begonnen, sich über sein Fachgebiet hinaus einen Namen zu machen.
Aber für welchen der Akteure kommt diese Koalitionskrise eigentlich nicht zu früh? Das gilt für die SPD insgesamt, die einen Bruch des Bündnisses frühestens zur Bundestagswahl 2002 ins Auge gefasst hatte. Das gilt ebenso für die PDS, die zum regulären Wahltermin 2004 ihre Allzweckwaffe Gregor Gysi ins Rennen schicken wollte. Und es gilt erst recht für die CDU, die ihre Generationen lieber ohne den Druck einer Affäre ausgewechselt hätte.
Bei der SPD kann von einem Generationswechsel eigentlich keine Rede sein. Schließlich ist der so unverbraucht wirkende Wowereit gerade ein Jahr jünger als der SPD-Landesvorsitzende Strieder, der schon mit der ganzen Malaise seiner Partei in Verbindung gebracht wird.
Der heute 47-jährige hatte seine steile Karriere in der Landespolitik erst spät begonnen. Zwölf Jahre lang war der gebürtige Berliner, der dem Hausbesitzerverein Lichtenrade angehört, Stadtrat für Volksbildung im bürgerlichen Bezirk Tempelhof. 1995 wollte er aus der hauptberuflichen Politik aussteigen und sich als Rechtsanwalt niederlassen. Die nötigen Formulare hatte er sich schon besorgt.
Doch dann zog Wowereit als haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ins Abgeordnetenhaus ein. Für die Finanzen hatte sich in Berlin zuvor niemand sonderlich interessiert - nach Geld wurde nicht gefragt, Geld wurde einfach ausgegeben. Doch 1995 waren die Kassen so leer, dass dieses Prinzip nicht mehr funktionierte.
Zur gleichen Zeit wie Wowereit trat die neue Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) an, um die Berliner Subventionsmentalität in die Schranken zu weisen. Wowereit setzte diese Politik im Haushaltsausschuss durch. Doch während die eiserne Sparlady nach vier Jahren von den Genossen abserviert wurde, machte der weniger barsch auftretende Wowereit gleich den nächsten Karrieresprung - und stieg im Dezember 1999 zum Fraktionsvorsitzenden auf.
Der späte Start erweist sich für Wowereit nachträglich als Glücksfall: Mit dem Polit-Klüngel des alten Westberlin wird er nicht in Verbindung gebracht - ganz ähnlich wie CDU Finanzsenator Peter Kurth, der in den Untiefen der Bankaffäre jedoch den ungleich schwierigeren Part zu übernehmen hat. Wowereit und Kurth verkörpern eine neue Generation, einen neuen Stil der Berliner Politik. Wo ein Klaus Landowsky oder Walter Momper mit größtmöglicher Lautstärke lospolterte, beten sie in freundlichem Tonfall Haushaltszahlen herunter. Statt der „B.Z.“ sind die „Berliner Seiten“ der FAZ ihr Leitmedium, und genauso kompetent wie über den Etat können sie über die letzte Opernpremiere parlieren.
Seit Wowereit die SPD-Fraktion führt, hat er sich nach Kräften bemüht, seine Partei behutsam an das „neue“ Berlin heranzuführen: Ob er Internetfirmen besuchte oder im vergangenen Sommer zu einem Pressefest in der schicken Galerienmeile Auguststraße lud - wo sich ganz nebenbei das richtige Forum für einen Auftritt von Kanzler Gerhard Schröder bot, der sich von den Berliner Genossen sonst tunlichst ferngehalten hatte.
Mit Wohlgefallen nehmen die Parteistrategen auch zur Kenntnis, dass Wowereit - schon bei seinem Einzug ins Abgeordnetenhaus als best aussehendster Parlamentarier gepriesen - auch optisch für die moderne Mediendemokratie gerüstet ist. Sein Lächeln, so wird in der SPD allenthalben betont, mache sich auf Plakaten besser als das überbreite Grinsen von Landeschef Peter Strieder.
Dass Wowereit bisher nur einer Minderheit der Berliner bekannt ist, ist ein Schicksal, das er mit sämtlichen Landespolitikern außer Diepgen, Landowsky und Strieder teilt. Nicht nur PDS-Star Gregor Gysi zweifelt, ob Wowereit das richtige Hauptstatformat hat (siehe Interview). Doch nach Kräften arbeitet der Fraktionschef daran, seine Popularität zu steigern. Auch wenn sein erster Talkshow-Auftritt in der vergangenen Woche noch ein wenig hölzern geriet.
Im lokalen Boulevard-Magazin „Alex“ spulte er noch einmal die SPD-Forderung in der Causa Landowsky herunter – ansonsten durfte die Moderatorin nur feststellen: „Ihr Privatleben ist ja ziemlich unerforscht.“ Bei der Frage, ob der nächste Bürgermeister Gysi, Diepgen oder Wowereit heißt, war der Fraktionschef wieder in seinem Element: „Gysi bestimmt nicht, Diepgen hoffentlich nicht – und bei Wowereit werden wir sehen.“
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