: E-Mail rules okay
Something is happening, doch Herr Werthebach weiß nicht, was es ist. Warum die Debatte um den Schutz unserer Landessprache prinzipiell in die falsche Richtung läuft
Erst kommt BSE über die Grenze aus Britannien und vergiftet unsere Kühe. Dann rafft eine Seuche von der Insel unsere Schafe hin. Und jetzt sind die Kinder dran! Ihre Sprache verhunzt, ihr Denken verseucht durch Anglizismen. Soweit der Subtext der Diskussion um den Schutz der deutschen Sprache. Ums Schützen geht es den selbst ernannten Bewahrern nun mal nicht. Denn sie reden nicht von Sprache, von Zeichen, von zu Bezeichnendem oder gar von Sinn. Wovon aber dann?
„Wenn im nächsten Jahr die D-Mark fällt, wird die Nation noch europäischer. Umso mehr gilt es jedoch, unsere Sprache als Fundament unserer Gesellschaft zu erhalten“, sprach der Initator der Diskussion, Eckart Werthebach, im Berliner Abgeordnetenhaus. Deutschland soll also nicht zu europäisch werden. Geschweige denn weltläufig: „Der deutsche Staatsbürger darf wegen seiner Sprache nicht benachteiligt werden. Gerade wer Gefahr läuft, als Globalisierungsverlierer auf der Strecke zu bleiben, braucht staatlichen Schutz“, gab Werthebach ein anderes Mal zu Protokoll.
Es geht nicht um Sprache, sondern um die deutsche. Diesen Unterschied hat Werthebach konstruiert. Ähnlich ging es auch vor etwas längerer Zeit Leo Weisgerber in seinem Werk „Die volkhaften Kräfte der Muttersprache“. Da redete er ständig von der Muttersprache, durch die ein Volk sich seiner in „Blut und Lebensboden angelegten Gemeinsamkeit“ bewusst werden sollte, und dabei meint er doch nur das Deutsche.
Was Werthebach, Vollmer und Thierse von sich gaben, ist sinnlos – im wortwörtlichen Sinn. Man mag ja fordern, dass Event gefälligst Ereignis zu nennen sei. Aber bezeichnen beide Worte tatsächlich dasselbe? Das schöne deutsche Ereignis ist viel zu schade, um für den tausendsten Fallschirmsprung eines Politikers, das Containerluder im Baumarkt oder kostenlose Fanta im Einkaufszentrum herhalten zu müssen. Event enthüllt die Dummheit jener, die den Begriff ernsthaft mit Anspruch auf Prestige verwenden. Wenn Idioten ihre Idiotie mittels meeting-point, IPO und content manager selbst benennen, sind Bezeichnungen für bisher nicht zu Bezeichnendes entstanden, was Klarheit schafft und eine gute Sache ist.
Aber wie schon gesagt, um Sinn geht es vermeintlichen Sprachschützern nicht. So schlägt Werthebach im Forum deutsche Sprache ernsthaft als deutsche Alternative für „Streetguide“ das Straßenverzeichnis vor. Nur: Was auch immer ein „Streetguide“ sein soll – er verzeichnet nicht, er führt. Ein wenig mehr Analyse des Bezeichneten hätte wohl Werthebachs Parolen geschadet.
So wird E-Mail gemeinhin zu Recht nicht elektronische Post genannt. Denn die E-Mail wurde in den Vereinigten Staaten erfunden. Der Begriff bezeichnet hier den kulturellen Kontext, in dem die Technik entstand und populär wurde. Ganz ähnlich ist es beim Popcorn und Hot Dog. Solche Begriffe hat auch das Englische aus dem Deutschen übernommen. Wir können stolz sein auf allerorts verstandene Worte wie Blitzkrieg, Angst und Waldsterben.
Das wär’s auch schon mit der Diskussion. Alle Jahre wieder verläuft sie in diesen Bahnen. Kann man getrost vergessen. Außer man will etwas zu lachen haben. Konnte man etwa 1995, als in den Aachener Nachrichten zu lesen war: „Bei ‚Kids‘ dreht Opa regelmäßig durch. Wegen zu viel englischer Wörter drohte 75-Jähriger mit Vergiften von Gummibärchen.“ Oder heute, wenn die Deutsche Sprachwelt mit Schriftleitung in Erlangen im Internet verkündet: „Auf Kuba soll die deutsche Sprache stärker werden.“
Der Horizont bei dieser Diskussion reicht gerade mal von Berlin nach Erlangen. Na ja, vielleicht auch 200 Kilometer weiter bis nach Aachen. Die Provinzialität wird trotz undeutscher Grammatik sehr schön an einem Satz Werthebachs in der Berliner Morgenpost deutlich: „Wenn zukunftsweisende Erfindungen wie das Internet allen Bevölkerungsschichten nahegebracht werden soll, kann das nur in der Landessprache erfolgen.“
Soso. Chinesen sollen Regimekritisches also nur in Chinesisch lesen. Oder ist das anders zu verstehen? Sollen deutsche Initiativgruppen ihre Seiten mit politischen Informationen über China auf Deutsch ins Internet stellen? Oder dürfen Chinesen gar nur chinesische Seiten aufrufen?
Abgesehen von der Lächerlichkeit des Begriffs der Landessprache in dem Zusammenhang ist Werthebach auch etwas anderes entgangen: Die Sprachen des Internets heißen HTML, Java, Perl und CGI. Denn allein der weltweit identische Sprachstandard macht im Internet hinterlegte Informationen auf allen Computern der Welt verfügbar. Ohne die Weltsprachen der Maschinen gäbe es nichts, was man irgendwem nahe bringen könnte.
Wie soll denn das Symbol @, das ursprünglich das englische Wort at bezeichnete, in unserer Landessprache ausschauen? Ein b für bei mit einem Kringel drumherum?
In welcher Landessprache sollen internationale Organisationen wie amnesty international dann das Zeichen zwischen E-Mail-Adresse und Domainnamen kodieren? Und wie soll ein heute weltweit verstandener HTML-Befehl wie HREF auf Deutsch lauten? Wem es bisher nicht dämmerte: Werthebach redet hier ziemlichen Stuss.
Glücklicherweise kann man die Diskussion ums @ ebenso vergessen wie Werthebachs Visionen diverser Nationnets statt eines Internets. Denn beides kommt ein paar Jahrzehnte zu spät. Seit 1997 wird am semantischen Netz gearbeitet, der nächsten Generation des Internets. Der grundlegende Unterschied: Die heutige Technik bietet einen internationalen Standard für das technische und optische Kodieren von Informationen. Das nächste Netz soll ebendies für ihren Sinn leisten.
Einige Sprachstandards des semantischen Netzes sind bereits definiert. So kann RDF jedem Computer grundsätzliche Sinnkategorien wie Autor, Thema, Unterthema, Aktualität klarmachen. Darauf aufbauend hat eine europäisch-amerikanische Wissenschaftlergruppe DAML entwickelt. Diese Computersprache soll Verständigung zwischen allen Computern, Maschinen, Sensoren und Programmen ermöglichen, so dass zum Beispiel bei einer Flugbuchung eine künstliche Intelligenz automatisch das richtige Hotelzimmer reserviert oder ein Suchprogramm versteht, ob mit Programm Fernsehen, Software oder eine Tagung gemeint ist.
Etwas visionärer ist die Vorstellung, dass DAML im Endstadium künstlichen Intelligenzen im Netz Zugriff auf den Code von Computerprogrammen, Sensorenmesswerte und alle Maschinen, die angeschlossen sind, ermöglicht. Wozu soll das gut sein? Es gibt heute zu viele Dinge, als dass der Mensch über alle sprechen kann. Die Analyse von Klimadaten kann er getrost Computern überlassen, um Zeit für Schlussfolgerungen und Konsequenzen zu haben. Nur kennen Computer ebenso wenig wie das Klima Landessprachen. Ihre Stärke ist die Vernetzung und Fähigkeit zur Kommunikation.
Irgendwann also wird Herr Werthebach über einer Schüssel Maisflocken sitzen, aus dem Lichtdurchlass in der Wand schauen und die Welt nicht mehr verstehen. Aber das tut er ja auch heute nicht. KONRAD LISCHKA
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