: Das Low-Budget-Problem
■ In der Grünenstraße gärt es: Wohnungseigentümer und Ex-Hausbesetzer fühlen sich von einer Bauunternehmerin hereingelegt / Langfristig vorbereitete Intrige?
Wer das Haus in der Grünenstraße 18 betritt, könnte meinen, es habe sich in den letzten elf Jahren wenig verändert: Der Biergeruch der letzten Party liegt in der Luft, die Bewohner tragen Ziegenbart und Nabelpiercing, und aus den alten beschädigten Lautsprechern dröhnt ein kratziger nervöser Punksound.
Etwas ist allerdings doch anders geworden: Die BewohnerInnen sind zwar noch die gleichen, aber sie sind keine Hausbesetzer mehr. Die Immobilie ist schon seit Jahren gemietet. „Früher glich das Erdgeschoss einem Bunker und um das Haus stand Stacheldraht“, sagen sie und kennen doch die Besetzerzeiten fast alle nur aus Erzählungen. Heute gibt es in dem Haus Faxgerät und Aktenordner. Doch die Idylle trügt: Die „Abzockerfrau“, wie die Bewohner sie nennen, macht ihnen mächtig Stress. Gemeint ist Renate Roland, eine Bremer Bauherrin. Seit sie im letzten Jahr das Reihenhaus nebenan einreißen ließ und neu errichtete, ist nichts mehr wie es war.
„Eine Low-Budget-Produktion ist nebenan entstanden“, meinen die Mieter des einst besetzten Hauses. Die „Baulöwin“ habe die Außenwand von Haus 18 nach dem Abriss der nachbarlichen Barracke nicht versiegelt, in Folge dessen habe sich durch den Regen, der permanent an die dann ungeschützte Außenwand prasselte, im gesamten Haus 18 der Schimmel ausgebreitet. „Einer hat's sogar mit den Bronchien gekriegt“, erzählen die Bewohner. Sie haben sich bei ihrer Vermieterin, der Bremischen, beschwert. Ergebnis: Ein Gutachten, das ihnen all die Bauschäden bescheinigt. Der Schimmel ist – mit Hilfe von viel Chemie – fast weg.
Doch mit dem Einzug der neuen Nachbarn ist in der Grünenstraße ein neues, viel größeres Problem aufgetaucht: die Hellhörigkeit. Es gibt praktisch keine Isolierung zwischen der Grünenstr. 18 und dem an das Haus anschließenden Neubau, und das bei mehreren Proben und Konzerten pro Woche in den Veranstaltungsräumen des Szene-Hauses.
„Der kleine Nachbarsjunge schläft direkt hinter der Theke, wenn man sich die Wand mal wegdenkt“, erzählt eine der Bewohnerinnen und scheint keineswegs stolz darauf zu sein. „Sein Vater war schon bei mehreren Konzerten hier und hat einmal sogar gedroht, alles kurz und klein zu schlagen, falls die Musik nicht abgestellt wird.“ Auch die Polizei steht neuerdings Punkt Mitternacht vor der Tür, um Konzerte zu unterbinden.
„Wir selber haben die Polizei noch nie gerufen, aber verstehen können wir es schon“, erzählt ein Ehepaar aus dem Neubau. Für rund 300.000 Mark wollten sie sich ein schönes Eigenheim kaufen und nun wohnen sie in einem „echten Schrotthaus“. „Obwohl wir erst seit August hier wohnen, klaffen in der Decke jetzt schon Risse, alles ist verzogen, und wenn nebenan ein Konzert ist, versteht man hier sein eigenes Wort nicht mehr“, klagt ein Wohnungskäufer. Ob er deshalb sauer auf die Nachbarn ist? „Keineswegs, die können ja nichts dafür, dass unser Haus der reinste Baupfusch ist“, nimmt der Mann die Ex-Besetzer in Schutz.
Auf beiden Seiten der schlecht isolierten Mauer ist mittlerweile derselbe Verdacht aufgekommen: Der Mietvertrag von Haus 18 läuft in zwei Jahren aus. Danach soll die Firma Roland ein Vorkaufsrecht auf die Immobilie haben. „Die Roland will bestimmt, dass wir uns mit denen aus Haus 18 in die Haare kriegen. Dann schmeißt die Bremische die Leute bestimmt raus und verkauft“, mutmaßen die Wohnungseigentümer. Dieser Verdacht scheint nicht ganz unbegründet: Dass ein Vorkaufsrecht besteht, wollte die Baufirma zwar nicht bestätigen. Wohl habe es aber „schon Gespräche mit der Stadt über das Haus gegeben“, bestätigte ein Mitarbeiter.
Bleibt also abzuwarten, was in zwei Jahren geschieht. Vielleicht besinnen sich die Menschen von Haus 18 auf ihre Hausbesetzerwurzeln und schreien frei nach „Ton Steine Scherben“: „Ihr kriegt uns hier nicht raus: Das ist unser Haus.“ Simon Preuß
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