: Kanaken für einen Tag
Migranten in der neuen Mitte: Das Aktivistenkollektiv „Kanak Attack“ ging mit einem Event an der Berliner Volksbühne in die Offensive. Der Widerstand sucht noch immer nach einer Bezugsgruppe
von DANIEL BAX
Der Berliner Bezirk Mitte ist nicht unbedingt berühmt für sein multikulturelles Flair. Gerade für viele türkischstämmige Berliner bleibt der einstige Ostteil der Stadt im Alltag noch immer praktisch eine No-Go-Area – so, wie viele Ostberliner sich kaum, wenn auch aus Angst um ihre Vorurteile vielleicht nur, nach Kreuzberg oder Neukölln trauen. Wie ein Versprechen, die unsichtbaren Grenzziehungen in der Stadt zumindest für einen Augenblick aufzuheben, wirkte da die Losung, die am Freitag von der Fassade der Volksbühne prangte: „Kanak Attack“.
Unter diesem Slogan wandelte sich das Haus, sonst Heimstatt von Schlingensief, Castorf und Co., für einen Abend in eine Volkshochschule in Sachen europäischer Einwanderungsrealität. Alle Etagen wurden bespielt: Im Roten Salon nuschelte ein DJ kleine Erläuterungen zu den Breakbeat-Bricolagen des Londoner „Asian Underground“, später referierte im gleichen Raum Mark Terkessidis über „Kanak Chic in der Berliner Republik“. Die Autoren Emine Sevgi Özdamar, Raul Zelik und Imran Ayata lasen aus ihren jeweils jüngsten Werken, während im Grünen Salon der Regisseur Thomas Arslan Ausschnitte aus Filmen, von Quentin Tarrantinos „Jackie Brown“ bis zur deutschen Proll-Komödie „Erkan und Stefan“, mit schüchternem Kommentar versah. Anderswo gaben die Filmemacherin Aysun Bademsoy und die Fußballspielerin Safiye Kok Auskunft über Rassismus im bundesdeutschen Amateursport, die Band Kante beschallte spät den großen Theatersaal, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits merklich geleert hatte, zum Schluss beglückten die beiden DJs Seda und Imran im oberen Foyer die letzte Hand voll Gäste bis frühmorgens mit House-Beats und Türk-Pop. Herzstück des Events aber war die „Kanak History Revue“, die mit schmalem Budget, multimedialem Beiwerk und einer Schar von Laiendarstellern auf die große Bühne des Hauses gehievt wurde. Neun Akteure in Anzug, Kostüm oder Trainingshosen griffen typische Rollenklischees auf, spielten „Reise nach Jerusalem“ zu Klängen eines griechischen Sirtakis, erzählten Anekdötchen aus dem Migrantenalltag – etwa: Wie die Pizza nach Italien kam – oder skandierten unvermittelt: „Wir haben Hass, Hass. Wir wollen Pass, Pass“.
Das hatte seine lustigen Momente, etwa wenn vom Mobiltelefon die „Internationale“-Melodie erklang. Das hatte seine peinlichen Stellen, wenn die Pointen bloß auf wohlfeile Deutschenbeschimpfung hinausliefen. Das sollte aber wohl vor allem Betroffenheit wecken, wenn das teils schleppende Bühnengeschehen mit Ausschnitten aus TV-Nachrichten und anderen visuellen Einspielungen angereichert wurde: Info-Schnipsel zu einem Agit-Theater, das in der Aufforderung gipfelte: „Ausländer in Deutschland, wehrt euch endlich!“.
Kolonnen von Daten, die vom Projektor flimmerten, sollten den besonderen Anteil der einstigen „Gastarbeiter“ an den Arbeitskämpfen der 60er- und 70er-Jahre herausstreichen. In eine Linie gesetzt mit den Aufwallungen nach den Anschlägen von Mölln und Solingen, wurde daraus der etwas zweifelhafte Versuch, eine möglichst bruchlose Geschichte migrantischen Widerstands in Deutschland zu konstruieren. Durch die illustrierte Kontinuität der Ausgrenzung aber – etwa durch die Dokumentation skandalöser Spiegel-Titelseiten, von „Eine Million Türken“ aus dem Jahr 1973 bis hin zur Frage „Zu viele Ausländer?“ 25 Jahre später – blieb im Gedächtnis jedoch viel mehr die Kontinuität einer Opferrolle haften, die man doch gerade selbstbewusst in Frage stellen wollte. Ansonsten: Ein bisschen Grips-Musical („Linie 1“) auf linksradikal, ein wenig antifaschistisches Tanztheater, mehr Education als Entertainment. Ermattet wie nach einer langen politischen Schulung erhob sich das Publikum von seinen Sitzen.
Gegen was sich „Kanak Attack“ richtet, wurde mehr als deutlich. Für wen das Kollektiv spricht, weniger. Für alle entrechteten Einwanderer, gestern und heute? Nur für sich? Oder gar für „die Würde unserer Eltern“, wie der Rapper Murat G. am Ende der großen History-Revue in einem Anfall von Predigerpathos formulierte. „Halleluja“, antwortete ihm da eine Stimme von den Rängen.
„Kanak Attack“ ist eben nur, das ist die Crux, ein weiterer Migrantenverbund unter vielen – allerdings mit dem kleinen, aber feinen strukturellen Unterschied, dass in seinen Reihen die solidarischen Deutschen die Zahl der Migranten, für die man zu sprechen beansprucht, leicht zu überwiegen droht. So ist „Kanak Attack“, der Verein, eher ein Sammelbecken von migrationspolitisch bewegten Politaktivisten denn ein Sprachrohr für Migranten, die sich schon lange anderswo – etwa: in Moschee- und Sportvereinen oder türkischen Theatergruppen – organisiert haben. Und „Kanak Attack“, der Event, erwies sich denn bei Licht betrachtet weniger als kreative Selbstermächtigung bisher sprachloser Subjekte denn vielmehr als ein Schaulauf der bekannten Stellvertreter aus dem Kulturbetrieb.
Einen Etikettenschwindel muss man das nicht gleich nennen. Aber ein bisschen Anmaßung ist schon dabei, wenn sich Medienarbeiter, denen bereits alle Kanäle offen stehen, nunmehr „Kanaken“ schimpfen, und damit eine Betroffenenperspektive für sich reklamieren, die sie selbst oft genug auch nur aus zweiter Hand kennen.
Sollte „Kanak Attack“ einmal der Versuch gewesen sein, die linksradikale Intelligenzija mit der Masse der Migranten kurzzuschließen, dann muss dieser Versuch als gescheitert verbucht werden. Denn eines wurde offenbar in der Volksbühne: Dieser Bewegung fehlt es ein wenig an Basis – möglicherweise ist ihr Politverständnis lebensweltlich nicht wirklich kompatibel mit der real existierenden Migrantenkultur der Berliner Republik. Umso schlimmer für die Realität. In einem Punkt allerdings war die Aktion ein voller Erfolg: Falls es tatsächlich so etwas wie einen subversiven Kanak-Chic gibt, dem die Vereinnahmung durch den Mainstream droht, dann hat er durch diese Veranstaltung sicher nicht an zusätzlichem Glamour gewonnen. Was aber wäre, wenn die Bundeszentrale für politische Bildung auf die Idee kommt, die Revue einzukaufen, um sie demnächst im Schulunterricht präsentieren zu lassen?
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