: Der Verkannte
aus Belgrad ANDREJ IVANJI
Dusan Mihajlović lebt gefährlich. Kaum hatte er Anfang dieses Jahres sein Amt als serbischer Innenminister angetreten, wurde auf sein Auto geschossen. Seine Leibwächter schossen wild zurück, trafen jedoch niemanden. Sein Fahrer ergriff geschickt die Flucht, aber Mihajlović ließ ihn zum Tatort zurückfahren. Am Vortag wurde schon auf den Fahrer des neuen Geheimdienstchefs, Goran Petrović, geschossen. Anders als unter dem früheren Regime üblich, wurden die Attentäter noch in derselben Nacht verhaftet. Offiziell hieß es, man habe nicht den Minister gemeint, er sei zufällig mitten in den Schusswechsel zweier krimineller Banden geraten. Mihajlović sagte seelenruhig dazu: „Meine Leibwächter werden zusätzlich Schießübungen machen müssen, wenn sie schon schießen, sollen sie gefälligst treffen.“
Dusan Mihajlović wurde lange Zeit als einfältiger Politiker abgetan. Bei seinen Reden und Auftritten fiel er niemandem auf. In Serbien unterschätzte man den Mann, der erst für Slobodan Milošević arbeitete, später zu dessen Gegner wurde und schließlich die Festnahme veranlasste. Die von ihm gegründete Neue Demokratie (ND) galt als bedeutungslos und ebenso ausdruckslos wie der Vorsitzende – angesichts von 18 Parteien, die sich zur Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) gesammelt haben.
Dusan Mihajlović, der untersetzte Mann mit dem gewellten Haar, wurde nach der Wende in Serbien nur deshalb Innenminister, weil der jugoslawische Präsident Vojislav Koštunica und der serbische Premier Zoran Djindjić so lange die eigenen Leute auf diesen für den Staat lebenswichtigen Posten setzen wollten, bis sie völlig zerstritten waren und einen Kompromisskandidaten brauchten. Mihajlović sollte eine Übergangslösung werden, große Taten wurden von ihm nicht erwartet. Er selbst betonte anfangs, dass die Kontrolle der Polizei und des Staatssicherheitsdienstes für ihn nur eine vorübergehende Aufgabe sein dürfe. Offenbar bluffte der Mann, und alle anderen täuschten sich gewaltig. Denn inzwischen glaubt niemand mehr, dass sich so bald ein ebenbürtiger Ersatz für den Innenminister finden ließe.
Mit unerwarteter Autorität
Rasch zeigte Mihajlović, dass er der Aufgabe gewachsen ist. Er begann, in der Polizei aufzuräumen – energisch und mit unerwarteter Autorität. Selbst die bis dahin gefürchtete Milošević-treue Geheimpolizei brachte er unter sein Kommando. Inzwischen hält er die wichtigsten Machtinstrumente fest in der Hand. Mihajlović ist es gelungen, zu einem der wesentlichen politischen Träger des neuen demokratischen Regimes aufzusteigen. Wie modern er arbeitet, zeigt sich unter anderem daran, dass das serbische Innenministerium von allen politischen Institutionen die am besten eingerichtete und schnellste Seite im Internet hat.
Erst nach den ersten Blitzerfolgen wurde man auf den Werdegang des neuen, starken Mannes aufmerksam. Kurz bevor er am 27. September 1948 in der bei Belgrad gelegenen kleinen Industriestadt Valjevo geboren wurde, hatte Tito, der damalige Marschall Jugolsawiens, gerade mit Stalin und der Sowjetunion gebrochen. Der junge Dusan studierte in Belgrad Rechtswissenschaften, seinen ersten Job erhielt er von der Institution, die ihm ein Stipendium gewährte – vom jugoslawischen Geheimdienst UDBA. Bald wurde er in seiner Heimatstadt Chef der Staatssicherheit: kein unwichtiger Posten, denn es galt, einen Teil der dort ansässigen Rüstungsindustrie zu kontrollieren. In seiner offiziellen Biografie hält sich Mihajlović nicht mit Einzelheiten auf, bescheiden heißt es dort, er sei im Innenministerium tätig gewesen.
Der Sprung in die Öffentlichkeit gelang ihm, als er Bürgermeister von Valjevo wurde. Wer die Wege der Macht in Titos Jugoslawien kennt, glaubt nicht, dass das ohne den Segen des Geheimdienstes geschehen konnte. Jedenfalls hat Mihajlović die notwendigen Grundkenntnisse über Polizeiarbeit und Kontrolle des öffentlichen Lebens rechtzeitig erworben. Und wem dieser Stallgeruch einmal anhaftet, der wird ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr los.
Nach Titos Tod und der Eröffnung neuer wirtschaftlicher Möglichkeiten gründete er das Privatunternehmen „Lutra A.G.“, dessen Mehrheitsinhaber und Generaldirektor er wurde. Öffentlich nicht genau bekannt ist, mit welchen Import- und Exportgeschäften er sein nicht unerhebliches Vermögen machte. Die Kontakte zur Rüstungsindustrie, die er in jungen Jahren gepflegt hat, und die guten Beziehungen zum Nahen Osten deuten auf Rüstungsgeschäfte hin. Selbstverständlich war Mihajlović die ganze Zeit über Mitglied des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens und trat so fast automatisch der aus dem Bund entstandenen Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) unter dem ehemaligen Kommunistenführer Slobodan Milošević bei. Aus dieser Zeit sind sehr gute Beziehungen zwischen den beiden Politikern bekannt.
Die Gründung der „Neuen Demokratie“ erfolgte, als Milošević beschloss, einer so genannten pluralistischen Demokratie vorzustehen. Er hatte wahrscheinlich ein Modell vor Augen, wie es aus der DDR bekannt war. In Mihajlović glaubte er den richtigen Chef für eine Blockpartei zu sehen.
Chef einer Blockpartei
Am Anfang gingen Milošević’ Pläne auf. Die ND schloss ein Bündnis mit der damals stärksten Oppositionspartei, der Serbischen Erneuerungsbewegung SPO. Deren Führer war der charismatische Vuk Drašković. Kaum war Mihajlović mit Hilfe von Drašković ins Parlament eingezogen, kündigte er die Gefolgschaft auf und trat als Mehrheitsbeschaffer der Koalition mit der SPS bei. Dafür wurde er mit dem Amt des Vizeministerpräsidenten – wohlgemerkt, unter Milošević – belohnt.
Erst als Milošević einen weiteren Schritt nach rechts tat und die ultranationalistische, radikale Partei des Vojislav Šešelj, SRS, in die Regierung der nationalen Einheit aufnahm, wurde es Mihajlović zu viel. Obwohl ihm Milošević anbot, den hohen Posten in der Regierung zu behalten, trat er demonstrativ aus und schloss sich der Opposition an.
Manchmal fragt man sich, ob Dusan Mihajlović jemals lacht. Der Mann ist immer ernst und ruhig, er spricht leise und eintönig, wählt seine Worte präzise. Seine Oberlippe ziert ein Schnurrbart, wie es für serbische Bauern so charakteristisch ist, sein Gesichtsausdruck ist freundlich, im Gespräch hält er sich zurück. Mit fester Hand hat Mihajlović inzwischen die in die schmutzigen Geschäfte des Milošević-Regimes verwickelte serbische Polizei weit gehend gesäubert, dabei erfahrene Kräfte für sich gewonnen und dem organisierten Verbrechen den Kampf erklärt.
Die Verhaftung Milošević’ geschah unter Mihajlović’ persönlicher Führung. Zwar ist offen, ob die Aktion anfangs in ein Fiasko zu münden drohte, wie einige Beobachter glauben, oder ob Mihajlović es absichtlich so eingerichtet hat, um die wenigen letzten Getreuen Milošević’ in dessen bunkerartigen Residenz zu ermüden und unsicher werden zu lassen. Doch Tatsache ist, dass Mihajlović gestärkt aus der Aktion hervorging. Zieht man in Betracht, dass die jugoslawische Armee, deren Spitze unverändert geblieben ist, verunsichert wirkt, zum großen Teil aus unmotivierten, schlecht bezahlten Rekruten und Zeitsoldaten besteht, ist zweifelsohne die Polizei die bewaffnete Hand des Staates Serbien. Hinzu kommt, dass die Kluft zwischen Djindjić und Koštunica immer größer wird. Vor diesem Hintergrund ist entscheidend, ob Mihajlović Djindjić und seiner Regierung treu bleibt. Djindjić wäre daher gut beraten, sich daran zu erinnern, dass Mihajlović zwar auch treu zu Milošević gehalten hat. Aber eben nur so lange, wie er es für richtig hielt.
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