: Frauen loten Begehren aus
Der Comicband „Echolot“: Ausstellung und Lesung ■ Von Katja Strube
Die Frau als Spiegel des Mannes: Ein Konzept, das auf eine Geschichte Ovids zurückgeht. Die Nymphe Echo kann nur noch den Satz des Narziss „Ich soll dich begehren“ wiederholen. Doch Narziss hört ihr nicht zu, da er damit beschäftigt ist, sein eigenes Spiegelbild zu begehren. Am Ende sterben beide unbefriedigt.
Diese Episode, neu gezeichnet von der Baseler Bühnenbildnerin Olga Motta, gab dem Buch Echolot, aus dem derzeit Originalzeichnungen im Westwerk zu sehen sind, den Namen. Echolote senden Schallwellen aus und fangen sie wieder ein. Wie bei ihnen ist auch im Begehren die Ausrichtung auf ein Äußeres, ein Anderes enthalten. Diese ist allerdings in der patriarchalen Gesellschaft nie „spiegelbildlich“ im Sinne von „in beide Richtungen gleich“. Zwar steht das Wort „Begehren“ häufig im Zusammenhang mit „Frau“. Die Zuordnung dabei ist aber fast immer dieselbe: Die Frau das Objekt der Begierde, der Blick männlich. So bleibt der zum Körper degradierten Frau nichts, als identisch mit ihrem Begehrtsein zu werden, und damit quasi körperlos – zum reinen Spiegel männlichen Begehrens.
Dagegen setzen die Buch-He-rausgeberinnen und Ausstellungs-Macherinnen Anke Feuchtenberger und Nik Pitton ein, so der Ankündigungstext, „facettenreiches Kompendium weiblichen Begehrens“. Die Frau muss sich ihre eigene Körperlichkeit, die Begehren ermöglicht, erst erobern. „Begehren ist etwas sehr Körperliches“, sagt Feuchtenberger, „ungestüm, wild und nicht leicht zu befriedigen“.
In Echolot versammeln Feuchtenberger und Pitton eigene Bildergeschichten sowie die 13 weiterer Künstlerinnen (und einem Autoren) aus Kanada, Israel, Deutschland und der Schweiz. Die Ausstellung zeigt neben Originalbildern auch andere Werke der Frauen. So stellt die Berliner Künstlerin Marina Klinker auch Skulpturen aus. Darunter eine unförmige, geflickte Puppe, in deren riesigem weißen Körper ein Stück Fleisch mit mehreren Brüsten steckt. Das Gesicht ist durch einen Spiegel ersetzt, in dem sich der Betrachter sieht.
„Comic“ will Feuchtenberger, Dozentin an der Hamburger FH für Gestaltung, als „Bildergeschichte“ verstanden wissen. Text ist dabei nicht zwingend; zuweilen gibt es auch gar keine Bilder, wie bei der Autorin Katrin de Vries, die morgen zusammen mit Georg Klein, der ebenfalls in Echolot vertreten ist, auf der Finissage der Ausstellung lesen wird. Feuchtenberger möchte mit der Ausstellung und ihrem Buch einen Gegenpunkt setzen zur von Männern dominierten Comicszene.
In der Thematisierung weiblichen Begehrens ist der männliche Blick stets enthalten. So auch im Comic-Strip „The Huge Vagina“ der Tel Aviver Illustratorin Rutu Modan: Eine Frau wird durch die magische Macht des Vollmonds zu einer Riesenvagina, die etwas Unglaubliches vollbringt – „The female Ejaculation!“
Dass damit das Konzept „Frau“ selbst als Konstrukt, nämlich als „Gegenstück“ zum männlichen Begehren, anzusehen wäre, weisen zumindest die am Buch beteiligten Hamburger Künstlerinnen Katrin Bethge und Katharina Gschwendtner vehement zurück. Begehren sei „nicht geschlechtsspezifisch“, so Bethge. Geschwendtner beurteilt ihre eigenen Bilder als „extrem schwanzlastig; eine Kritik am Patriarchat oder an der Heteronormativität ist nicht mein Ausgangspunkt“.
Und auch Feuchtenberger findet die Frage, wer eigentlich die Echolot-Frau auf dem von ihr gestalteten Titelbild an deren schleierhaftem Haarschopf in die Tiefe hinunter lässt, „nicht so wichtig. Der Punkt ist, was sie dort unten auslotet, welchen Raum sie erschließt, wie weit es hinunter geht“. Und Mit-Herausgeberin Nik Pitton, die auf ihren großformatigen Gemälden von unerfüllten Begierden ausgemergelte Gestalten darstellt, interessiert am Echolot nicht so sehr die reaktive Rolle des Geräts, als vielmehr seine Aktivität.
Ausstellung: heute + morgen, 16 - 20 Uhr; Finissage und Lesung Katrin de Vries und Georg Klein: morgen, 20 Uhr, Westwerk, Admiralitätsstraße 74
Echolot, hrsg. v. Anke Feuchtenberger und Nik Pitton, Reprodukt Verlag Berlin 2001, 95 S., 29,90 Mark
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