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Klopapier-Beziehungen im Park

■ Das International American Touring Theater ist mit Edward Albees Tragikomödie „The Zoo Story“ im Schnürschuhtheater zu Gast. Die Inszenierung ist überaus sehenswert

Ein Sommernachmittag im Central Park. Der Verlagskaufmann Peter (Matthew Slinger), verheiratet, zwei Kinder, zwei Sittiche, sitzt auf seiner Lieblingsbank und liest. Eine Beschäftigung, die ihm schon, wie er später beteuern wird, unzählige Stunden tiefer Erfüllung beschert hat. Richtig abnehmen will man ihm das nicht, zu flach, zu glatt und zu ereignislos scheint sein Leben dahinzuplätschern, zu sehr hat er sich in seiner Gleichgültigkeit und Mittelmäßigkeit eingerichtet. Er erinnert an den männlichen Teil des trostlosen Ehepaars aus dem Song „The Dangling Conversation“ der New Yorker Simon and Garfunkel: „And you read your Emily Dickinson / And I my Robert Frost / Ä...Ü / Yes, we speak the things that matter / With words that must be said / Can analysis be worthwhile? / Is the theater really dead?“

Nein, das Theater ist nicht tot – zumindest solange es Bühnenschriftsteller wie den dreifachen Pulitzerpreis-Gewinner Edward Albee („Who's Afraid of Virginia Woolf?“) gibt. Der ist vor einer Woche 73 Jahre alt geworden und produziert noch immer eifrig Bühnenliteratur. Seinen Erstling, den 1959 in drei Wochen heruntergeschriebenen Einakter „The Zoo Story“, gibt es jetzt als Gastspiel im Schnürschuhtheater zu sehen.

Viel Gepäck hat das Insight America Touring Theater aus Seattle nicht mit in den Flieger schleppen müssen – eine grüne Parkbank und einen Pappmaché-Felsbrocken, mehr befindet sich nicht auf der Bühne. Ach ja, und Peter, der, remember?, auf der Bank sitzt und liest. Enter Jerry (Alan Becker), ein armer Schlucker, der auf der Upper West Side in einer heruntergekommenen Mietskaserne wohnt, Tür an Tür mit einem tuntigen schwarzen Homosexuellen, einer puertorikanischen Familie, die in einem Zimmer haust und einer Frau, die ständig weint. Wohltuend: Regisseur J.D. Lloyd hat Jerry keinen verfilzten Bart und keine zerissene Army-Jacke zugemutet, sondern ihn in Sneakers und Sweatshirt „ganz normal“ aussehen lassen.

Das ist die minimalistische Situation in Albees Stück: eine Parkbank, ein Reicher und ein Armer, weshalb es oft mit Becketts „Waiting for Godot“ verglichen wurde und auch gleich das Etikett „absurdes Theater“ mitverpasst bekam. Anders als bei Beckett ist hier aber Kommunikation nicht Selbstzweck und Zeitvertreib, sondern der verzweifelte Versuch einer Kontaktaufnahme.

Jerry erzählt Peter von dem frühen Tod seiner Eltern, von der ausschließlich sexuellen Natur seiner Begegnungen mit Frauen und von seiner bisher längsten Beziehung zu einem anderen Menschen, einer elf Tage währenden Affäre mit einem anderen Jungen, als er selbst gerade fünfzehn war; er erzählt von den regelmäßigen Annäherungsversuchen seiner betrunkenen, abstoßenden Hauswirtin und von deren aggressivem Hund, den er zunächst mit Frikadellen gütlich stimmen und dann vergiften will, was beides scheitert und ihm in seinem Bemühen, zumindest zu einem Hund eine Beziehung aufzubauen, letztlich nicht weiterbringt.

Der distuinguierte Peter reagiert auf diese Erzählungen mit freundlichem Desinteresse, mal etwas verunsichert, mal ein wenig bestürzt, so dass Jerrys Versuche, mit ihm einen wirklichen Kontakt herzustellen, zunehmend wütender, verzweifelter und grotesker werden. Nur mit dem Versprechen, ihm doch noch zu erzählen, was er im Zoo getan hat („You'll probably read about it in the papers tomorrow ...“), kann er Peter bei der Stange, das heißt auf der Bank, halten.

Dabei hat sich im Zoo nichts zugetragen, was geeignet wäre, das Interesse Peters oder der örtlichen Medien zu wecken. Der Zoo, Zentralmetapher der Stücks: Menschen und Tiere, getrennt durch Gitterstäbe. Das gab Jerry den Rest; in seiner Verzweiflung griff er sich den erstbesten Park-Besucher, mit dem Vorsatz, nicht eher locker zu lassen, bis er ihm eine authentische menschliche Regung abgerungen hat. Dass der Kontakt letztlich doch noch zustande kommt, ist ein Lichtblick am Ende des Stückes. Ein Akt, eine Stunde Theater – eine sehenswerte Inszenierung in klar verständlichem Englisch mit begeistert agierenden Schauspielern, die sowohl eruptive Gefühlsausbrüche als auch leise Mimik zu spielen verstehen. Tim Ingold

Weitere Vorstellungen: Heute, Freitag, 10.30 Uhr und 20 Uhr sowie Samstag, 20 Uhr. Karten unter Tel.: 0421/55 54 10.

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