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Hauptgericht nach dem Urteil

Topfgucken in den Gerichtskantinen der Stadt: Freitag ist Festtag in Altona – wenn es Seelachs mit vier Sorten K-Salat gibt  ■ Von Elke Spanner

Es gibt so etwas wie inoffizielle Feiertage. In der Altonaer Max-Brauer-Allee wird ein solcher an jedem Freitag begangen. Seelachsfilet mit vier Sorten Kartoffelsalat steht da auf dem Speiseplan der Gerichtskantine des Amtsgerichtes (7,50 Mark. Besonders empfehlenswert: Kartoffelsalat Nummer vier). Und als riefe der Muezzin zum Freitagsgebet, pilgern vor allem ältere Damen mit Hut zu Gerichtsküchenchef Jürgen Paulsen.

Auch an manch anderen Tagen könnte man die Gerichtskantine, offizieller Titel „Behördenrestaurant“, ebenso für den SeniorInnentreffpunkt im Einzugsgebiet halten. Das Durchschnittsalter der KundInnen liegt jenseits der Pensionsgrenze der RichterInnen und StaatsanwältInnen, die hier ebenfalls verkehren. Die Kantine ist logistisch gut erschlossen, der Bus hält direkt vor der Tür, und auch die Innenausstattung spricht behütete Damen an: Neben vielen gezeichneten Hamburg-Motiven ist ein selbstgeknüpftes Blumen-Stillleben ausgestellt. Immerhin aber werden die Stammgäste vom Küchenchef mit Namen begrüßt, und eines der täglich drei Gerichte ist ohne Fleisch. Wer es schmackhaft mag, sollte allerdings eine Gewürzmischung in der Handtasche haben.

Ungesättigt bleibt, wer einen Termin beim Verwaltungsgericht in Hammerbrook oder den Amtsgerichten in Harburg, Blankenese und Wandsbek hat. Nicht schlecht isst man dagegen beim Arbeitsgericht am Osterbekkanal. Auch bei den zentralen Gerichten am Sievekingplatz gibt es mehrere Kantinen und Cafeterien. Getränke und Brötchen gibt es in allen Gebäuden. Ganz neu und lohnend ist die Cafeteria im Oberlandesgericht.

Die größte Auswahl an warmem Essen bietet die Strafjustiz. Dort ist zumindest für VegetarierInnen immer dann Feiertag, wenn es Kartoffeltaschen gibt. Das ist einmal im Monat der Fall, und auch nach der BSE- und MKS-Krise wurde die Frequenz nicht erhöht. Dabei ist die Nachfrage enorm: Erstens ist es lecker (Preis 6 Mark), und zweitens kommen VegetarierInnen am Sievekingplatz sonst immer zu kurz. „Wir essen eben immer noch gerne Fleisch“, begründet Kantinenchefin Ursula Stemmann, wieso an vielen Tagen von sieben wählbaren Mahlzeiten nicht eine fleischlos ist. Unvergessen ist die Szene, als eine Kundin einfach nur Bohnen bestellte, „bitte ganz ohne Fleisch“, und dann dann doch Speck mitessen musste.

Die Speisen werden einladend auf weißem Porzellan kredenzt und vermitteln den Eindruck, man würde Essen gehen und nicht nur Essen fassen. Herrlich entspannt stellen die KantinenmitarbeiterInnen für jeden Kunden einzeln die Mahlzeit zusammen. Selbst bei meterlanger Warteschlage bis weit auf den Flur hinaus lassen sie sich nicht davon abhalten, jeden Teller einzeln aus der dem Tresen am weitesten abgelegenen Ecke zu holen, dann zum Kassieren erst in die ganz andere Ecke zu gehen, wieder hervorzukommen, den Preis zu nennen, dann mit dem Geld wieder zu verschwinden und zwischendurch mit den KundInnen noch einen kleinen Plausch zu halten. Allerdings hat die eingehende Betreuung aller einzelnen Gäste für viele Hungrige zur Folge, dass sie kurz vor Erreichen der ersehnten Theke resigniert kehrtmachen und wegen Ablaufs der Prozesspause in den Gerichtssaal zurückkehren müssen.

Wem es aber gelingt, ein Essen und einen Platz zu erwerben, der kann sich einer anregenden Mittagspause gewiss sein. Zwar sitzen die Gerichtsbediensteten separat, so dass man keine echten RichterInnen und StaatsanwältInnen beim Essen beobachten kann. Dafür treffen hier Angeklagte, AnwältInnen und ZuschauerInnen zusammen, juristische Fälle und menschliche Schicksale werden lebhaft ausdiskutiert, und man sitzt eng. Wer wissen will, was für ein Mensch Thomas Drach wirklich ist und ob man Angeklagten das Tragen von Jogginghosen bei Gericht verbieten sollte, der sollte hier Essen gehen. Freundlicherweise bekommen übrigens auch Frauen eine Mahlzeit. Obwohl das große Schild im Gerichtsfoyer nur Speisen und Getränke für „Jedermann“ verspricht.

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