: Der Tomatenfisch ist tot
Nie wieder Mittelalter, stattdessen Atemzüge als Beats: The Inchtabokatables befreien sich mit ihrem neuen Album „Mitten im Krieg“ pünktlich zu ihrem zehnjährigen Bestehen von lästigen Images
von THOMAS WINKLER
Irgendwann taucht die Frage auf. Das lässt sich nicht vermeiden bei einer Band, die vom Goethe-Institut schon nach San Francisco, Athen und Budapest geschickt wurde. Seid ihr, wird dann gefragt, seid ihr etwa deutsches Kulturgut? „Offensichtlich“, antwortet Robert Beckmann und muss lachen.
Beckmann ist nicht der breiten Öffentlichkeit, aber immerhin doch einer kleinen, treuen Gemeinde unter dem Pseudonym B. Breuler als Sänger, Texter und Geiger der Ostberliner Inchtabokatables bekannt. Dieser Gemeinde wird zum zehnjährigen Bestehen der Band mit der neuen Platte „Mitten im Krieg“ eine schwere Prüfung auferlegt. Die Inchies, wie ihre Fans sie liebevoll nennen, haben sich mit diesem, ihrem sechsten Album endgültig von ihren Anfängen als vor allem live überzeugende Lieblinge der Mittelalterszene entfernt. „Ein Schritt“, sagt Beckmann, „den wir die Leute jetzt zwingen müssen mitzugehen.“
Es wird sich erweisen müssen, ob die Anhängerschaft so flexibel ist. Der erste und letzte halbwegs als Hit zu bezeichnende Titel der Inchtabokatables hieß „Tomatenfisch“ und war ein eingängiges Stück Hoppel-Folkpop, das ihre Besetzung, bei der die Gitarren durch Geige und Cello ersetzt wurden, voll ausnutzte. Später landete ihr schwer stampfender Titel „Die Taube“, auch ohne Gitarren, gar auf der mittlerweile berüchtigten Compilation „Neue Deutsche Härte“. Eine Schublade, in die sie eigentlich noch nie gepasst haben, aber natürlich kam dann das einschlägige Publikum zu ihren Konzerten.
Nichts, aber auch gar nichts davon findet sich auf „Mitten im Krieg“. Statt dessen: Langsam wabernde Lärmwände, unmerklich mutierende Stimmungen und die nahezu vollständige Auflösung von Songstrukturen. Die Platte wurde produziert über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren, in denen das Quintett ohne Zwänge oder Vorgaben, weil ohne Plattenvertrag, aufnehmen konnte. So entstand Musik, „die sich den Platz nimmt, den sie braucht“. In langwieriger Kleinarbeit wurde zuerst „blind improvisiert“ und aufgenommen, diese Tracks wurden dann im Studio und am Computer bearbeitet. So findet sich auf „Mitten im Krieg“ zwar kein einziger elektronisch erzeugter Klang, dafür aber eine stumpf-monotone Atmosphäre, wie man sie sonst eher von elektronischer Musik kennt. „Es gibt Beats“, erzählt Beckmann, „die sind nur aus meinem Atmen generiert.“
Das Ergebnis sind schwer verdauliche, bis zu 8 Minuten lange klaustrophobische Tracks, die funktionieren wie ein guter Horror- oder Splatterfilm: Eigentlich kann man nicht mehr hingucken, aber die Lust an der eigenen Angst lässt einen die Augen aufreißen. „Die Musik drückt Ängste aus, die jeder hat“, sagt Beckmann, „aber auch die Ruhe, damit umzugehen. Wenn die Musik etwas Beunruhigendes erzeugen kann, dann nur, wenn das latent schon vorhanden ist“.
Sprache spielt beim Produzieren dieser paranoiden Stimmungen eine untergeordnete Rolle. Mancher Text diente nur als Inspiration für die Improvisationen und ist zwar noch im CD-Booklet abgedruckt, aber längst aus dem Track herauseditiert. Die hörbaren, bis auf eine Ausnahme englischen Texte sind stark assoziierend und von Symbolen überladen. Gerne benutzt Beckmann „Bilder, die von der Kitschindustrie belegt sind“.
Dieses Unbehagen, dass solche schlichten, schönen Momente längst besetzt sind und nicht mehr vorurteilsfrei genossen werden können, ist einer der Auslöser für diese verstörende Musik. „Mitten im Krieg“ ist nicht nur eine extreme Platte, sie ist auch unter extremen Umständen entstanden. Weil ihre alte Plattenfirma „andere Verkaufserwartungen hatte“, wurden sie vor zweieinhalb Jahren auf eigenen Wunsch aus ihrem Vertrag entlassen.
Anstatt sich nach einem neuen Label umzusehen, beschloss man, „dass wir diese Chance nutzen wollten, um uns Zwängen zu entziehen“. Erst, als die Platte fertig war, suchte man sich eine Firma, die sie veröffentlichte. Das karge Überleben wurde in der Zwischenzeit mit Auftritten gesichert: „Wir haben gespielt für feste Nahrung.“ So auf sich und das gemeinsame Projekt zurückgezogen, entstand im Studio mitunter eine seltsame Atmosphäre. „Es war Winter, saukalt, man ging raus, und draußen nur Essigfressen“, erzählt Beckmann, „und wenn man dann zurückging ins Studio und wieder in die Musik eintauchte, war das eine Beruhigung, eine Zurücknahme aller Geschwindigkeit, es gab keine Feindbilder mehr. Im Fernseher aber lief tatsächlich ein echter Krieg und wir fühlten uns wie in einer Enklave mitten im Krieg“. So kam die Platte zu ihrem Titel.
Und kommt nun zu den Hörern. Sie haben alles in dieses Album gelegt, sich „entblößt“, und nun gibt es keine Ausreden mehr. Nicht mal mehr eine Plattenfirma, auf die man alles schieben könnte. Auch live will man konsequent bleiben. „Tomatenfisch“ wird definitiv nicht mehr gespielt, stattdessen die neuen Songs in der exakt gleichen Reihenfolge wie auf dem Album. Und was, wenn niemand diese Musik hören will, nicht einmal die alten Fans? „Dann liegt es daran“, glaubt Beckmann, „dass die Musik nicht so gehört werden will.“ The Inchtabokatables aber, die wird es weiter geben, „eine Auflösung steht nicht zur Debatte nach diesen zweieinhalb Jahren“. Diese Musik will, mit oder ohne Fans, diese Musik will und muss gespielt werden. Und so hört sie sich an.
The Inchtabokatables: „Mitten im Krieg“ (Strange Ways/ Indigo); Konzert am 27. 4., Columbiahalle
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