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Hier beginnt das Humornotstandsgebiet

■ Beim gemeinsamen Auftritt des Humoristen Osman Engin und des grünen Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir erlebte die Kunsthalle einen Publikumsansturm. Die Politik (Özdemir) drängte die Satire (Engin) in den Hintergrund

Freitagabend. Bremer Buchpremiere. Der in Bremen lebende türkischstämmige Autor Osman Engin präsentiert sein neues Buch „Oberkanakengeil“. Der Vortragssaal der Kunsthalle ist überfüllt. Die 500 Plätze sind belegt, es werden zusätzliche Stühle hereingetragen, dennoch müssen einige stehen. Das liegt nicht ausschließlich an Engin, sondern wohl vor allem daran, dass auch der Grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir heute hier ist.

Engin und Özdemir sitzen auf der Bühne, etwa drei Meter voneinander entfernt, jeder hat einen eigenen Tisch und ein eigenes Mikrofon. Eine ungewöhnliche Praxis. Üblicherweise ist es bei Buchpräsentationen oder Lesungen so, dass der Gast ein paar einführende Worte spricht und dann die Bühne dem Autor oder der Autorin überlässt. Cem Özdemirs Bücher, „Currywurst und Döner“, „Ich bin ein Inländer“ und „Deutsch oder nicht sein?“ liegen gemeinsam mit denen Engins im Foyer zum Verkauf aus. Aber Özdemir ist heute nicht als Autor hier, sondern als Politiker. Es sei ein gutes Zeichen für diese Gesellschaft, sagt er, dass man übereinander lachen könne, ohne den anderen in seiner Würde herabzusetzen.

Gemeint ist der gegenwärtige Kanakster-Boom, von dem auch Engin profitiert; zumeist satirische oder humoristische Lebensäußerungen von türkischstämmigen Einwanderern der zweiten oder dritten Generation. Sogar BILD druckt Auszüge aus einem „Kanakisch-Lexikon“ ab. Özdemir nennt als Vertreter dieses Booms Django Asül und Mundstuhl. Feridun Zaimoglu, der eigentliche Vater der Bewegung, wird nicht erwähnt. Der ist mit seinen kritischen Äußerungen, unter anderem zur Integrationspolitik, und seiner „Kill the Nation!“-Attitüde wohl nicht konform genug.

Özdemir nutzt das Forum ungeniert, um auf lustige Weise Wahlkampf für seine Partei zu machen. Alle Debatten der letzten Zeit werden süffisant kommentiert – Leitkultur, Nationalstolz, verpflichtende Sprachkurse –, alle politischen Gegner kriegen ihr Fett ab. Engin hat offenbar nicht das geringste Problem mit dieser Vereinnahmung. „Ich bin froh, dass wir einen so tollen Politiker haben“, sagt er mit Blick auf Özdemir und erntet Beifall dafür. In der Diskussion nach der Pause dreht sich dann auch alles um die Politik und nicht um Werk oder Autor; auch wenn Özdemir einige Male darauf hinweist, dass man ja eigentlich wegen des „tollen Buches“ hier versammelt sei. Das ist schon fast scheinheilig.

Das Buch ist indes nicht so „toll“ wie Özdemir behauptet. Es ist eine Sammlung von 31 kurzen humoristischen Geschichten, die in der Machart stark an Kishon erinnern: Der Autor ist stets der (Anti-)Held, mit seiner Ehefrau in einer Art Hassliebe verbunden. Qualitativ spielt Kishon jedoch in einer ganz anderen Liga. Von dessen Fingerspitzengefühl, von dessen handwerklicher Finesse ist Engin Lichtjahre entfernt. Wo ersterer behutsam Spannungsbögen von Pointe zu Pointe baut, poltert letzterer durch die Niederungen des Flachlandwitzes. Überzeichnung ist das vorherrschende Stilmittel, durch dessen ausschließliche Verwendung zeitigen die Geschichten rasch Ermüdungserscheinungen.

Gut, einige Witze zünden, und sein türkischer Akzent und seine naive Art des Vortrags haben einen unbezweifelbaren Charme – das hysterische Gelächter im Saal ist dadurch aber nicht hinreichend erklärt.

Es bleibt der Eindruck, dass einige BesucherInnen nur deshalb gekommen sind und nur deshalb lachen, weil sie damit eine persönliche Haltung zum Ausdruck bringen wollen. In der Pause sagt eine Frau: „Seine Witze sind teilweise schon sehr flach. Und er wiederholt sich oft. Aber das darf man ja nicht sagen“, fügt sie entschuldigend an. Warum darf man das nicht sagen? frage ich mich – ist das der berühmte „Rassismus unter umgekehrtem Vorzeichen“? Vielleicht ist das auch zu viel der Interpretation.

Die überwiegende Mehrheit, hat vermutlich gelacht, weil sie zum Lachen hergekommen ist. „Satire muss lustig sein, also lacht man“, sagt die gleiche Frau. Und ihr türkischstämmiger Ehemann fügt hinzu: „Wir haben hier keine Witzschreiber außer Osman – deswegen ist man dankbar.“ Wenn aus anderer Motivation gelacht wird als aufgrund der Qualität der Pointen, muss man sich als Autor doch verarscht vorkommmen. Oder soll man besser froh sein, dass überhaupt noch gelacht wird?

Der Abend hat mir dreierlei gezeigt. Die Teile der Gesellschaft, die Normalität im Umgang miteinander demonstrieren wollen, sind selbst weit von dieser Normalität entfernt. Die Vermengung von Politik und Literatur tut der Literatur selten gut und macht sie hier sogar zur Marginalie. Und schließlich befinden wir uns – zumindest hier in Bremen – offenbar in einem humoristischen Notstandsgebiet. Tim Ingold

Osman Engin: „Oberkanakengeil. Deutsche Geschichten“. Berlin: Espresso Verlag 2001, 25 Mark.

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