kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Bosseln

Im Musikgeschäft gäbe es böses Blut. Das Delikt: Namensklau. Es käme zur Anzeige. Unter den Randsportarten herrscht dagegen Frieden. Es geht halt nicht ums große Geld. Weil es Bosseln in doppelter Ausführung gibt, hat man sich darauf verständigt, dass die unterschiedliche Aussprache eines Selbstlauts für Originalität bürgt. Einmal wird das O gedehnt gesprochen und orthografisch korrekt ein ß angehängt. Ein andermal, und von diesem Sport soll hier die Rede sein, wird schnittig betont. So wie in busseln.

Um Verwechslungen auszuschließen: Das Boßeln kommt aus Friesland und hat dort eine lange Tradition. Ins Leben gerufen wurde es von Marschbauern, die sich im Winter die Zeit vertreiben wollten. Wenn der Boden hart gefroren war, zog die Familie oder das ganze Dorf über die Felder und warf eine Kugel. Die Friesen nannten es Klootschießen. Daraus wurde das Boßeln. Zwei Mannschaften finden sich nach wie vor zusammen. Bevor es los geht, besprechen die Boßler die Strecke, die dann mit Würfen vermessen wird. Schöts oder Punkte sammelt jenes Team, das über die besseren Weitwerfer verfügt. Die Technik ist nicht unwichtig, denn mit einem Trüll, wobei die Kugel hoch abspringt, kann entscheidende Weite gewonnen werden. Wenn ein paar Kilometer zurück gelegt sind und die Ohren rot von der Kälte, wird das Spiel in der Kneipe besprochen. So vergehen trübe Winterabende wie im Flug.

Die Bosseln wiederum fliegen durch Sporthallen. Sie sind einem Eisstock nicht unähnlich. An einem Holzschaft befinden sich an der Unterseite Borsten. Ein Set mit sechs Stück kostet 3.000 Mark. „Das sind kräftige Feger aus hochwertigem Holz“, sagt Monika Zabel, die seit Jahren bei der Behindertensportgruppe Tempelhof bosselt. Meist wird der Sport von Behinderten ausgeübt. Die Kegler der Zitadelle Spandau und die Bossler aus Frohnau sind in Berlin noch die besten, aber in der Hauptstadt stagniert die Bosselei. „In Bayern und Niedersachsen machen die das in jeder Sporthalle“, sagt Zabel. Wenn die Berliner, die ein- bis zweimal die Woche üben, zur deutschen Meisterschaft fahren, werden sie von den Profis immer ausgelacht. Trotzdem: „So eine DM haut richtig ein.“ Über zwei Tage wird gefegt.

In einer Mannschaft stehen drei Spieler und ein (nichtbehinderter) Mannschaftskapitän. Die drei dürfen 11,5 Punkte in der so genannten Schadensklasse nicht überschreiten, erklärt Zabel. Sie leidet an einem „inkompletten Querschnitt“, der sie mitunter in den Rollstuhl zwingt. Ein Kriegsveteran ist auch mit in der Gruppe; seine doppelte Unterschenkelamputation wird mit zwei Punkten bewertet. „Und bei 5,5 oder höher sagen wir immer: Der hat ja nur den Blinddarm draußen.“

Pro Durchgang wird mit drei Bosseln geschossen. Mit Klebstreifen ist ein vier mal zwei Meter großes Areal gekennzeichnet, in dem die Daube steht. Es gilt, der Daube am nächsten zu kommen. Das wird mit zwei Punkten bewertet. Jede weitere Bossel im Klebfeld kriegt einen Punkt. „Neulinge fangen sich immer Muskelkater im Hintern ein“, sagt Zabel. Das soll den sportlichen Wert ihres Sports unterstreichen, der nach dem Krieg erfunden wurde.

Viele Weltkriegsversehrte drängte es auch winters zu Leibesübungen. Weil damals der Behindertensport noch in den Anfängen steckte, mussten neue Sportarten erfunden werden. Mittlerweile ist das Angebot breit: Man geht allen erdenklichen Aktivitäten nach. Manche raufen sich sogar beim Rollstuhl-Rugby. Doch davon später. MARKUS VÖLKER

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 9 Punkte