Der teuerste Fahrschein der Republik

Schlusslicht Berlin: Der Streit um das obligatorische Semesterticket für Studenten geht in die nächste Runde

Möge zum Uni-Start kommen, was wolle – eins ist sicher: Ein Semesterticket für Berlin-Brandenburg gibt es wieder nicht. Damit ist die Hauptstadt eines der bundesweiten Schlusslichter. Doch vom Tisch ist der obligatorische Massen-Fahrschein für Studis damit noch nicht. „Die studentischen Vertreter stehen kurz vor einer Vereinbahrung mit den Verkehrsbetrieben“, sagt jetzt Jürgen Sahm, Vizepräsident der Technischen Universität (TU) Berlin. „Die notwendige Urabstimmung könnte dann Anfang Juni kommen“ – zusammen mit der Wahl des Studentenparlaments. Die Zeit drängt, wenn es das Semesterticket wenigstens bis zum Wintersemester geben soll. Denn bevor das Studentenparlament beschließen kann, die Rückmeldegebühr um den Ticketpreis zu erhöhen, braucht es das O.K. der Eingeschriebenen. Mindestens 20 Prozent müssen sich dazu äußern. Keine Selbstverständlichkeit, haben doch die, die es angeht, anscheinend wenig Interesse an der Frage.

Auch die Freie Universität (FU) sieht noch Einigungsbedarf in den eigenen Reihen. Hier ist eine Urabstimmung ebenfalls im Sommer geplant. Abstimmungen gab es zwar schon jede Menge – die meisten Studis befürworteten die Idee. Ähnlich geschlossen aber lehnten sie die bisher ausgehandelten Preise ab.

Schon seit Jahren verhandeln Berliner Universitäten mit den Verkehrsbetrieben um den Fahrschein fürs ganze Semester, der mit der Rückmeldung bezahlt werden soll. Bis 1995 bewegte sich gar nichts, die BVG forderte zu viel. Inzwischen führt die Verhandlungen aber der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) mit BVG, S-Bahn und Deutscher Bahn AG. Für die andere Seite spricht die studentische Länderkoordination „Semtix“. Letzter Stand: 215 Mark pro Semester und jede Menge Streitfragen: Das Ticket soll in den drei Berliner Tarifbereichen gelten, nicht aber in Brandenburg. Der VBB will es zunächst nur auf einen einjährigen Versuch ankommen lassen. Fahrräder haben Freifahrt, studentische Kinder nicht. Der Asta der FU lehnt indes die Zustimmung rigoros ab und verlangt stattdessen freie Fahrt für alle Studenten.

Für „Semtix“ ist „sozial veträglich“ oberstes Gebot – das heißt, nicht teurer als 190 Mark. Die Verkehrsbetriebe wollen aber weiterhin das teuerste Semesterticket der Republik, während anderswo mutigere Entscheidungen gefällt wurden: Bremer Studenten fahren für 85 Mark durch halb Niedersachsen, das Ruhrgebiet erschließt sich für 120 Mark, in Münster einigte man sich jetzt auf 82,40 Mark. Zwei Drittel Hessens stehen für 100 Mark offen. In Berlin aber wird zum Nachteil, was eigentlich schön klingt: Viele Studenten benutzen bereits Busse und Bahnen. Deshalb schreckt vor allem die BVG vor einer Preissenkung zurück. Obwohl ihr 200.000 feste Kunden winken, fürchtet sie Verluste durch den Preisnachlass.

Umstritten ist auch der Zwangscharakter des Tickets: Bezahlen sollen alle eingeschriebenen Studis, egal ob sie laufen, skaten oder Bahn fahren. In Freiburg hat sich ein Student deswegen schon bis zum Bundesverfassungsgericht geklagt. Das entschied aber, dass die solidarische Idee „einleuchtend und verfassungsrechtlich unbedenklich“ sei. Das Ticket sei auch für diejenigen „hinnehmbar“, die den Nahverkehr gar nicht nutzen wollten. Allerdings beträgt der Preis in Freiburg nur 14 Mark. Immerhin sollen soziale Härtefälle generell weniger zahlen. An der TU seien das allein drei bis vier Prozent der Studierenden, also etwa 1.000 bis 2.000, vermutet Jürgen Sahm von der TU. Dass die Diskussion um das Ticket vielen nur noch ein müdes Lächeln entlockt, weiß er. Aber Abstimmungsfaulheit lässt Sahm trotzdem nicht gelten: Wer seine Rechte zur Mitgestaltung an der Uni nicht wahrnehme, müsse mit der Entscheidung leben. Doch wie entschieden wird, ist einmal mehr offen.

MARGRET STEFFEN