Unblutiges Ende einer Geiselnahme

13 Tschetschenen, die ein Istanbuler Hotel überfallen und Geiseln genommen hatten, ergaben sich gestern Mittag aus noch unbekannten Gründen den Behörden. Sie wollten mit ihrer Aktion gegen den „schmutzigen Krieg“ im Kaukasus protestieren

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

In Istanbul ist gestern Mittag eine Geiselnahme im „Swissotel Bosporus“ nach einer langen Nacht unblutig zu Ende gegangen. Nach Verhandlungen mit dem türkischen Innenminister Tantan ergaben sich 13 tschetschenischen Geiselnehmer, die mit ihrer Aktion gegen den Krieg im Kaukasus protestieren wollten. Ihr Anführer Emin Tokcan, ein türkischer Staatsbürger tschetschenischer Abstammung, ist in der Türkei bekannt. Er war 1997 an der Entführung einer Fähre im Schwarzen Meer beteiligt, mit der ebenfalls gegen den Krieg protestiert werden sollte.

Es war 23.15 Uhr am Sonntagabend, als schwarz gekleidete, vermummte Gestalten die Lobby des Istanbuler Luxushotels „Swissotel Bosporus“ stürmten. Kurz danach ging vor dem Hotel ein Großaufgebot der Polizei in Stellung. Mehr als 600 Polizisten, darunter Spezialeinheiten, die sich vorbereiteten, das Hotel zu stürmen, waren vor Ort. Die Entführer forderten ein Gespräch mit Innenminister Tantan, was dieser ablehnte und die Entführer aufforderte, ihre Waffen niederzulegen.

Unbemerkt von den Medien redete der Gouverneur von Istanbul, Erol Cakir, mit den Geiselnehmern. Nachdem durchgesickert war, dass es sich bei den Geiselnehmern um Tschetschenen oder türkische Sympathisanten der Tschetschenen handelte, erreichten Reporter von CNN-Türk Emin Tokcan auf seinem Handy und bestätigten, dass er bei der Aktion dabei sei. Per Fax teilten die Geiselnehmer mehreren türkischen Fernsehanstalten mit, sie wollten gegen „den schmutzigen Krieg in Tschetschenien“ protestierten. Sie kündigten an, zunächst alle türkischen Geiseln freizulassen und entschuldigten sich bei den türkischen Behörden, durch ihren Angriff womöglich Probleme für den Tourismus verursacht zu haben. Trotzdem werde man die ausländischen Gäste weiter festhalten.

Wie viele Geiseln die Terroristen in ihrer Gewalt hatten, blieb unklar. Am Morgen schaltete sich Tantan direkt in die Gespräche ein und forderte die Terroristen erneut auf, ihre Waffen niederzulegen. Am Mittag ging dann alles ganz schnell. Die Geiselnehmer kündigten zunächst an, ihre Waffen zu übergeben, und verließen dann das Hotel. In zwei Polizeibussen wurden sie zur Polizeizentrale gefahren. Was die Geiselnehmer zur Aufgabe bewogen hat, ist nicht bekannt.

Die Tschetschenen genießen in der Türkei große Sympathie, und man hat in Ankara, zumindestens inoffiziell, viel Verständnis für den Unabhängigkeitskampf im Kaukasus. Es gibt tausende Kaukasier oder deren Nachkommen, die die Tschetschenen unterstützen. In Istanbul existiert ein Büro, dessen Leiter sich als diplomatischer Vertreter des unabhängigen Tschetschenien versteht. Deshalb wirft Russland der Türkei vor, tschetschenische Terroristen zu beherbergen und gegen deren Aktivitäten nicht vorzugehen. Tatsächlich gibt die Geschichte von Tokcan Grund zu dieser Vermutung. Er war wegen der Entführung der Schwarzmeer-Fähre zu 15 Jahren verurteilt worden, entkam aber nach wenigen Monaten aus dem Knast. Er ging nach Bosnien und wurde bei dem Versuch, mit falschen Papieren in die Türkei einzureisen, geschnappt. Im letzten Dezember kam er im Rahmen einer Amnestie frei.

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