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Lernen um der Sache willen

Wer bildet Kinder so, dass sie sich in der New Economy zurechtfinden? Die alte Schule etwa? Die Reformpädagogen meinen: Wir lehren die Schlüsselqualifikation – Problemlösungskompetenzvon SUSANNE THURN

Taugt die alte Schule für die New Economy? Nein, natürlich nicht! Alle wissen es. Und die Wirtschaft selbst wird nicht müde zu beklagen, dass sie junge Menschen mit Schlüsselqualifikationen braucht; dass es beim modernen Angestellten nicht auf abfragbare Wissensmengen ankommt, weil die Halbwertzeit von Wissen ständig sinkt und die Datenkapazität von Computern ständig steigt; dass ihre Unternehmen kreative und sensibel tolerante, kooperationswillige und teamfähige, methodisch vielfältig geschulte und selbstständig arbeitende, junge Menschen brauchen. Die Arbeitnehmer des 21. Jahrhunderts sollen vor allem eines mitbringen: Freude am Lernen und die Bereitschaft, ständig viel Neues gern aufzunehmen. Wie auch sonst sollten sie den grundlegend neuen Herausforderungen unseres Jahrhunderts begegnen, von denen wir manches ja noch gar nicht wirklich kennen?

Nein, natürlich taugt die alte Schule nicht für die New Economy, solange sie immer noch so aussieht: Alle 45 Minuten betritt ein neuer Alleinunterhalter den Raum und erklärt den vor ihm Sitzenden fertige Ergebnisse. Sich damit auseinander zu setzen, begründet er mit der Nützlichkeit für eine Zukunft, die sich SchülerInnen weder vorstellen können noch wollen. Für sie liegt die Nützlichkeit in der Regel allein in der Tatsache begründet, dass man sie auswendig lernen muss, um Tests zu bestehen – ehe man sie getrost wieder vergessen darf.

Nicht sonderlich motivierend. Darum muss der Alleinunterhalter versuchen, durch Sanktionen ein Interesse herzustellen, das wiederum mit der Sache selbst nicht das Allergeringste zu tun hat: Strafen, Noten, Zeitverlust durch Klassenwiederholung, Rückstufung in die nächst-„schlechtere“ Schule und so fort. Als Beweis des Interesses erwartet er ein Produkt, das auf Einzelleistungen beruht, die als solche deutlich erkennbar und von anderen Einzelleistungen abgrenzbar sein müssen – um einer Vergleichbarkeit willen, die er „Gerechtigkeit“ nennt.

Alte Schule: Auslese

Die Erkenntnis, dass gemeinsame Arbeit und gebündelte Kreativität bessere Ergebnisse hervorbringen könnten, muss den Alleinunterhalter nicht interessieren. Das Ziel der alten Schule ist ja nicht die Bewältigung einer Sache, die Suche nach neuen Wegen und die Annäherung an Antworten, kurz: all das, was die New Economy als Problemlösungskompetenz feiert. Nein, das Ziel der alten Schule ist die „objektiv“ zu rechtfertigende Auslese der vermeintlich Stärksten. Alles andere stört nur in der Konkurrenz um einen der knapper werdenden Plätze an der Sonne.

Dass es bei all dem um Kinder oder Jugendliche geht, dass viele von ihnen mit Lebensproblemen belastet sind, die ruhiges Lernen oft verhindern, stört in der alten Schule nur – und um Störungen sollen sich die Sozialeinrichtungen der Gesellschaft kümmern.

Bloß eine Karikatur von Schule? Mag sein. Aber ganz so begegnet sie mir nach wie vor allerorten. Und feiert sogar ihre Auferstehung, seitdem die Ergebnisse von internationalen Vergleichstests politisch missverstanden werden und in rückwärts gewandte Forderungen münden: nach noch mehr auswendig zu lernendem Stoff für jeden Einzelnen, noch mehr Vergleich und Konkurrenz (siehe unten).

Die Ergebnisse dieser Studien hätten auch dazu führen können, endlich nach neuen Lernwegen in einer weniger „alten“ Schule zu suchen. Mutige und ermutigende Beispiele gibt es längst in „jungen“ Schulen. Wie aber, wenn – ganz im Sinne der New Economy – die Sache mehr als die Auslese im Mittelpunkt stünde? Wenn der Einzelne als der gesehen und gebraucht würde, der er ist und werden kann, statt als der, der nicht passt und dem es an zu vielem mangelt? Wenn die Gruppe jeden Einzelnen wertschätzen lernte und sich gemeinsam der Bewältigung von Sachen näherte?

Neue Schule: Teamwork

Wenn SchülerInnen die Sachen wirklich ernst und wichtig nehmen, stellen sie sich Aufgaben – und suchen selbst nach Antworten. Um sie geben zu können, müssen sie überlegen, wie sie vorgehen wollen, welche Methoden nützlich wären, und sie müssen entscheiden, ob sie schon ausreichend gut über sie verfügen; stoßen sie auf Widerstände, müssen sie nach den Ursachen suchen, um sie abbauen zu können; fehlt es ihnen an Wissen dafür, müssen sie es sich gezielt aus verschiedenen Fachgebieten zusammensuchen, es erwerben und miteinander vernetzen; dafür müssen sie herausfinden, wie sie das am schnellsten und umfassendsten tun können; dafür müssen sie auch lernen, Fehler auszuhalten, Umwege zu gehen und gegebenenfalls wieder von vorne loszumarschieren; an ihrer eigenen Arbeit müssen sie erkennen, was eine Arbeit gut macht und was der Lösung von Aufgaben eher hinderlich ist; schließlich müssen sie lernen, sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie vorgegangen sind, damit sie beim nächsten Versuch gemachte Fehler und gegangene Umwege vermeiden können, um an neuen zu lernen.

Die Sache selbst weckt die Motivation und erzwingt die Lernprozesse. Dabei erleben junge Menschen an jedem Tag, dass sich Aufgaben durch unterschiedliche Zugänge verschiedener Menschen mit vielfältigen Talenten besser – will sagen: kreativer, überraschender, umfassender, spannender – lösen lassen als allein. Und sie lernen, wenn das gelingt, dass Lernen nicht einsame Qual ist, sondern gemeinsame Freude sein kann. Dass die Aussicht, ein Leben lang immer weiterzulernen, ein „Dürfen“ mehr als ein „Müssen“ ist.

Hinter alldem verbergen sich uralte reformpädagogische Zielsetzungen, nach denen Schule den Kindern beim Aufwachsen hilft, sie als Menschen stärkt und sie begleitet auf ihrem Weg, sich selbst zu bilden – was beispielsweise heißt, vorhandenes Wissen zu ordnen, aus ihm auszuwählen, es neu zu fügen, zu verstehen, zu bewerten, anzuwenden und schließlich neues aufzubauen und für humane Zielsetzungen einzusetzen. Solche Zielsetzungen werden offenbar nie „alt“. Dass sie allerdings auch für die noch jugendliche „New Economy“ so trefflich taugen, so viel besser als die der „alten“ Schule, könnte uns stutzig machen.

taz-kongress

Thema Bildung I: Die Reformschulen und die New Economy. Samstag, 15 Uhr, R. 207

Thema Bildung II: Das Neue kommt als Fehler zur Welt. Reinhard Kahl. Samstag, 10 Uhr, R. 201

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