: Renaissance des Rührstücks
So modern der Look, so reaktionär ist die Botschaft der dubiosen Melodramen von RTL: In „Wenn eine Mutter ihr Leben verspielt“ bleibt kein Klischee unbedient (20.15 Uhr, RTL)
Strafe muss sein. Und sie kann gar nicht hart genug ausfallen, „wenn eine Mutter ihr Leben verspielt“. In der gleichnamigen RTL-Produktion jedenfalls landet die junge Frau, die Kind und Mann verzockt, regelrecht in der Gosse. Blutverschmiert und winselnd liegt sie auf der Straße. Der Clou: Die pittoreske Exekution des unbrauchbaren Muttertieres findet gleich am Anfang statt. Die Selbstzerstörung wird also als Rückblende erzählt, auf diese Weise erscheinen kleine Schwächen als Omen des Untergangs.
Und kleine Schwächen weist Mona Lutter (Franziska Petri) reichlich auf – zum Beispiel hat sie ein Faible für sündhaft teure Kleider. Deshalb jobbt sie in einer Luxusboutique, während ihr grundsolider Gatte Michael (Michael Grunert) in der Werkstatt Autos repariert.
Durch ihre Anstellung findet die Blondine Zugang zu den Partys der Schönen und Mächtigen Berlins; bald darf sie auch mit am Roulettetisch sitzen. Ein persischer Lebemann (Erdal Yildiz) weiß Monas Leidenschaft für das Glücksspiel anzufachen. Mit Jetons und großmännischem Gehabe macht der ölige Millionärssohn sich die Frau gefügig. Erst füllt er sie mit Koks ab, dann schickt er sie auf den Strich. Zu Monas unaufhaltsamem Abstieg wird der düstere TripHop von Tricky abgespielt.
So fügt sich das Zockermelodram bestens in die Wiederkehr des Rührstücks, wie sie momentan von RTL vorangetrieben wird: Viele Eigenproduktionen des Senders verfügen über einen modernen Look, die Botschaft indes ist meist erzreaktionär. In „Wenn eine Mutter ihr Leben verspielt“ werden edle blaustichtige Impressionen aus dem neuen Berlin aneinandergereiht, und der Schnitt gehorcht streckenweise den Gesetzen des Musikvideos. Kein Klischee aus der Mottenkiste des Erbauungskinos, das hier nicht bedient wird. Der Antagonismus von Gut und Böse findet eine besonders perfide Ausprägung: Auf der einen Seite steht der rechtschaffende Handwerker, auf der anderen der dekadente Exot, der sich mehrere Frauen hält. Das Fremde – hier steht es noch einmal für die größtmögliche Bedrohung.
Eine andere Bedrohung ist da nach der Logik der bigotten RTL-Tränendrücker weit weniger beängstigend: In „Die Frau, die Freundin und der Vergewaltiger“ – vor zwei Wochen am selben Sendeplatz – ging es um ein Sexualverbrechen, das der Bräutigam einer jungen Frau einst an deren Freundin begangen haben soll. Die Moral der verquasten Triebtäter-Soap war schlicht: Nachdem er das Vergehen eingestanden hat, zeigt der Mann Reue. Der anschließende Läuterungsprozess besitzt die Länge eines Videoclips – und die gleiche Optik. Zu den melancholischen Klängen von Everything But The Girl besucht der Peiniger eine Männerselbsthilfegruppe. Dann steht er vor Tür seiner Liebsten, blickt so bedrückt wie ein Kaninchen mit Stuhlgangproblemen und darf wieder bei der Braut einziehen: Vergewaltigung als Kavaliersdelikt.
Die Melodramen, die RTL zur Zeit ausstößt, sind also ungeheuerlich. Umso trauriger, dass sich einige der besten Nachwuchsdarsteller darin verheizen lassen. Ein Blick ins Drehbuch sollte eigentlich genügen, um die Finger von diesen Rührstücken mit MTV-Touch zu lassen.
In „Wenn eine Mutter ihr Leben verspielt“ zerstört immerhin Franziska Petri als abgehalfterte Spielsüchtige die Reputation, die sie sich zuvor im Offkino-Hit „Vergiss Amerika“ erworben hat. Und Erdal Yildiz, der in Sozialdramen wie „Aprilkinder“ differenzierte Migrantencharaktere gespielt hat, muss hier den Pascha geben. Eklig. CHRISTIAN BUSS
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