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Die Gnade der weiten Entfernung

Trotz der Skandalvergangenheit rechnet man in der Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield nicht mit Protesten

LONDON dpa ■ Der Name steht für Unfälle und Vertuschen, aber auch für das Bemühen um einen neuen Anfang und um Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit: Sellafield. Seit im September 1999 bekannt wurde, dass in der Wiederaufarbeitungsanlage im Nordwesten Englands mit gefälschten Prüfbescheiden gearbeitet wurde, hat die Betreibergesellschaft British Nuclear Fuels plc (BNFL) wesentliche Teile des Top-Managements ausgewechselt. Mit „neuer Offenheit“ statt der früher üblichen Geheimhaltung bemüht man sich, das verlorene Vertrauen der Kunden und der britischen Öffentlichkeit wiederzugewinnen.

Schwer genug dürfte das sein. Der britische Staat hat nach dem Skandal seine Pläne, 49 Prozent des Kapitals zu privatisieren und dafür zwei Milliarden Pfund (knapp 6,3 Milliarden Mark) zu erlösen, zunächst einmal auf Eis legen müssen. Alles wartet ab, ob die Sicherheitskultur in Sellafield wirklich besser wird.

BNFL macht einen Jahresumsatz von 2 Milliarden Pfund und hat 23.000 Beschäftigte: viele Gründe für den Staat, an der Wiederaufarbeitung festzuhalten. Es ist nicht der erste Reformversuch. 1957, nur ein Jahr nach der offiziellen Eröffnung durch die Königin, wurden bei einem drei Tage dauernden Brand in der Atomfabrik Windscale große Mengen Radioaktivität freigesetzt. Das Ausmaß des Vorfalls wurde vertuscht, spätere Unfälle führten dazu, dass Windscale einen neuen, weniger belasteten Namen bekam: So taufte man die Anlage 1981 in Sellafield um. Auch danach freilich wurden Umweltorganisationen nicht müde, vor Gefahren durch Strahlenbelastung vor allem im Sellafield-Abwasser zu warnen. Dass die Deutschen die im Mai 1998 zunächst ausgesetzten Transporte wieder aufnehmen, ist für die Atomfirma BNFL ein wichtiges positives Zeichen. Noch etwa 40 Transporte von und nach Deutschland sind bis spätestens 2005 geplant. Schließlich ist Deutschland mit einem Volumen von insgesamt gut drei Milliarden Mark und einem Anteil von zehn Prozent am Geschäft der 1994 in Dienst gestellten Aufarbeitungsanlage Thorp der größte europäische Kunde Sellafields.

Andere wichtige Kunden sind Atomkraftwerksbetreiber in Japan und in der Schweiz. Derzeit liegen in Sellafield rund 600 Tonnen deutschen Brennstoffs, ein Teil davon ist aufgearbeitet und wartet auf den Rücktransport nach Deutschland. Ein Zehnjahresvertrag mit der deutschen Atomindustrie sieht die Aufarbeitung von insgesamt 1.000 Tonnen vor. Bei der BNFL ist man stolz, dass lediglich drei Prozent des Brennstoffs zu Atommüll werden und der Rest wieder verwertet werden kann.

Und noch einen ganz anderen Vorteil hat die entlegene Anlage für die Atomfirma: Wenn die Behälter nach der Seereise von Dünkirchen im Spezialfrachter „European Shearwater“ im Hafen von Burrow-In-Furness anlanden und die letzten Kilometer per Bahn nach Sellafield zurücklegen, wird nicht mit Demonstrationen gerechnet.

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