Junge Migrantinnen: Raus aus der Grauzone
■ Bundesweit erste Broschüren über Kindesmisshandlung
Manche Opfer reden erst Jahrzehnte nach ihrem Leid von dem, was zu Hause passiert ist. Kindesmisshandlung – ein Tabuthema nicht nur in unserer Gesellschaft. Für die 80.000 MigrantInnen in Bremen hat die Ausländerbeauftragte Dagmar Lill deshalb jetzt Broschüren zum Thema „Kindesmisshandlung und sexueller Missbrauch von Mädchen und Jungen“ herausgegeben. Titel: „Sagt Nein!“
„Es ist das erste Mal in Deutschland, dass es diese Broschüren auch in der Muttersprache der Betroffenen gibt“, sagt Dagmar Lill, die das Thema in Bremen aus der Grauzone holen will. Bei einer Umfrage in Istanbul hätten 45 Prozent der Mütter der Aussage zugestimmt, „Wenn meine Tochter Gewalt erleidet, muss sie das ertragen.“ Lill: „Die Jugendlichen sollen wissen, welche Möglichkeiten sie hier haben.“ In Bremen gab es im vergangenen Jahr 250 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern unter 14. 70 Prozent der Betroffenen waren Mädchen, 90 Tatverdächtige wurden registriert.
Wieviele Opfer es wirklich gibt, kann niemand sagen. Die Dunkelziffer gerade bei diesen Straftaten dürfte riesengroß sein. Bei den Deutschen – wie bei den Ausländern. „Den türkischen Mädchen wird oft einfach nicht geglaubt. Die Väter streiten das Geschehene ab, sie sagen einfach ,Das hast du nur geträumt'“, erzählt Cevahir Cansever vom Awo-Referat Migration. „In Russland haben die Betroffenen überhaupt keine Möglichkeit, an Hilfe zu kommen. An zu Hause ausziehen, ist gar nicht zu denken. Bis 18 Jahre ist man noch ein Kind“, sagt die Awo-Mitarbeiterin Christine Kankowski, die den deutschen Text ins Russische übertragen hat.
Die zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt (Awo) entstandenen Heftchen und Faltblätter mit Ratschlägen, Adressen sowie Hilfsangeboten werden ab sofort in Bremer Schulen, Kitas, Arztpraxen, aber auch in Moscheen ausgelegt. Sie erscheinen mit einer Auflage von je 5.500 Stück auf deutsch, russisch, türkisch, französisch und englisch. ksc
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