: Schicker schlürfen an verlorenem Ort
Heute Abend eröffnet das Café Josty am Potsdamer Platz. Damit wird auch der in die Glasarchitektur des Sony-Ensembles gequetschte Frühstückssaal des ehemaligen Hotels Esplanade für Besucher wieder zugänglich. Ganz modern als Cocktailbar
von KIRSTEN KÜPPERS
Das alte Grand-Hotel Esplanade ist einer dieser melancholisch-schönen Orte, den die Stadt unwiederbringlich an die Modernisierung verloren hat. Sein Schriftzug ragte zu Mauerzeiten von der dreckig-braunen Fassade über die leere Brache des Potsdamer Platzes. Die Leuchtbuchstaben schienen seltsam einsam zu winken, das Esplanade wirkte vergessen. Selbst damals fehlte dem schachtelförmigen Gebäude irgendwie ein klares Vorne und Hinten. Aber an kalten Wintertagen bot drinnen die unverhofft herrschaftliche Theke des von außen so schmucklosen Hauses warmen Kakao. Hereingeirrte dachten in dem hellblau blätternden Saal an ein Leben wie in einem langen wilden Film. Nick Cave gehörte als Protagonist dazu und meinetwegen auch Wim Wenders. Doch das ist lange her.
Nach der Wende kaufte Sony den Standort des alten Hotels. Die vier erhaltenen Säle sollten mit einer 50 Millionen Mark teuren Restaurierung in das moderne Stadtquartier integriert werden. Spektakulär verschob das Unternehmen dazu nicht nur den Kaisersaal um 75 Meter. Auch der denkmalgeschützte prächtige Frühstückssaal wurde in über 500 Teile zerlegt und als Teil des neuen Sony-Ensembles wiederaufgebaut. Nun steht das Esplanade wieder, zumindest sein Innenleben. In ein Korsett aus Glas und Stahl gefasst, sind die alten Säle nebeneinander ausgestellt wie in überdimensionierten Vitrinen. Und erstmals nach der Modernisierung wird heute Abend einer davon als „Josty Bar“ für Besucher eröffnet.
Die Bilder, derer sich die Barbetreiber bedienen, reichen allerdings sehr viel weiter zurück als die wehleidigen Erinnerungen an ein Berlin vor Mauerfall. Hier leiht man sich lieber die Kontinuität eines historischen Berlins irgendwo zwischen Kaiserzeit und 20er-Jahren. Schließlich gab es schon damals ein „Café Josty“ am Potsdamer Platz. Als Treffpunkt von Künstlern und Schriftstellern soll es gegolten haben. Klingende Namen wie Erich Kästner, Theodor Fontane und Heinrich Heine werden als dessen Kunden bemüht. Und jenes Café soll nun heute Abend nicht weniger als „seine Auferstehung“ feiern, wirbt man in geschwungener Schrift an den Türen.
Dahinter arbeiten die Handwerker noch an dem Kaffeehaus der Luxusklasse, reich an Superlativen und vornehmem Wohlstand: Mehr als ein Dutzend Torten soll es im Josty geben, darunter ein „kaiserlicher Kuchen“ nach altem Rezept. Die Kulisse für diesen hübschen Überfluss bilden ein roter Marmorfußboden, ein dunkler Tresen aus Kirschbaumholz und 60 bequeme Stühle mit cognacfarbenem Lederbezug. Auf der Terasse warten weitere 200 Sitzgelegenheiten aus lasiertem Teak. Im oberen Stock wird Sushi samt gekühltem Reiswein serviert.
Die angeschlossene Josty-Bar im stuckverzierten Frühstücksaal des ehemaligen Esplanade soll zu einer der „exlusivsten Cocktailbars der Stadt“ avancieren, sagt der Geschäftsführer Gerhard Lengauer. Der junge Unternehmer aus Österreich lächelt zufrieden. Er hat gerade fünf Millionen Mark investiert. Für einen Kaffee verlangt er fünf Mark.
Auch in die drei übrigen restaurierten Esplanade-Räume, den Kaisersaal, den Silbersaal und den Palmenhof, soll Gastronomie einziehen. Allerdings steht hierfür noch kein Betreiber fest. Sony führe ernsthafte Gespräche, heißt es nur von der Firmenleitung. Groß und teuer wird es aber wohl auch hier zugehen – schon um den Standortfaktor auszunutzen. 80.000 Besucher pro Wochenende hat das Unternehmen gezählt. Das entspricht der Wirtschaftskraft einer mittleren Kleinstadt.
Während Gerhard Lengauer seine Pressetermine zur Eröffnung selbstbewusst abarbeitet, baut sich hinter ihm bereits die nächste Touristengruppe vor der Fensterscheibe auf. Hinter einer Front von Stahlrohren, Metallgittern und kaltem Glas schimmern die goldenen barocken Schnörkel des Frühstückszimmers. Lengauer registriert im Augenwinkel die Videokameras der Touristen. Er hat sich das alles genau durchgerechnet. Aber man hat nicht den Eindruck, er habe jemals ein Musikstück von Nick Cave gehört.
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