: Jazz is freedom
■ Der kubanische Pianist und Bandleader Omar Sosa spielte in Syke und sprach mit der taz am liebsten über Spiritualität
So überquellend, fantasievoll, quirlig und freundlich wie auf der Bühne wirkt Omar Sosa auch, wenn er in dem Restaurant von Wessels Hotel in Syke sitzt, und dort in seinen wallend weißen Gewändern doch etwas exotisch wirkt. Und wenn der bellende Hausdackel, die bimmelnde Pendeluhr, die elektrische Türklingel und die laute Stimme der Hotelbesitzerin den Interviewer mit der Zeit etwas nervös machen (wer weiß, was auf der Tonbandaufnahme noch zu hören sein wird), dann freut sich der Interviewte, dass es hier ja „viel Musik von Syke“ zu hören gäbe. Und ganz auszuschließen ist es nicht, dass er gerade in dieser Stube etwas gehört oder gespürt hat, was dann in seinen Auftritt am gleichen Abend einfloss, und dass es gerade dieses Detail war, dass das Konzert dann endgültig abheben ließ.
Einen (wenngleich indirekten) deutschen Einfluss auf seine Musik gab es bereits vor sechs Jahren, als Omar Sosa ausgerechnet im Allgäu sein Vorbild Thelonious Monk entdeckte: „Damals spielte ein deutscher Saxophonist in meiner Band, und der nahm mich für ein paar Tage mit in sein Haus in Kempten, wo er mir Platten und Filmaufnahmen von Monk vorspielte. Das hat mich so berührt, dass ich weinen musste. Vier Tage lang habe ich mir alles angehört, was er in seiner riesigen Sammlung von Monk hatte, und dabei hat mich nicht nur seine Musik, sondern auch seine Lebensweise beeindruckt. Ich versuche ja nicht, Monk zu kopieren, aber seine Philosophie hat mich sehr beeinflusst: Jazz ist Freiheit! Du kannst machen, was du willst, und wenn du dabei ehrlich bist, werden die Menschen dich auch verstehen und dir folgen!“ Das ist das Credo von Omar Sosa: Immer wieder kommt er im Gespräch darauf zurück, wie wichtig es ist, „ehrlich und rein“ in seiner Musik zu sein. Wobei sein „rein“ genau das Gegenteil des Reinheitsgebots der Jazzpuristen ist, denn Omar mischt fröhlich lateinamerikanische und afrikanische Stile mit Hiphop, lyrischen Pianopassagen und Bühnenhappenings zu Hexengebräuen wie dem am Freitagabend in Syke, bei dem selbst die Norddeutschen schließlich ausgelassen vor der Bühne tanzten und (völlig unüblich) rhythmisch komplizierte Phrasen mitsingen konnten. „Meine Musik ist ein Weg, um auf einer anderen Ebene zu kommunizeren.“ sagt Sosa, und jeder, der bei dem Konzert dabei war, spürte wohl, was er damit meinte, auch wenn man nichts von den spirituellen Wurzeln von Sosas Kunst weiß. „Unsere Vorfahren feiern da oben eine Party, und wenn sie das mögen, was du hier unten veranstaltest, dann zeigen sie dir den Weg. Wenn ich Aufnahmen von mir selber höre, erkenne ich mein eigenes Spiel oft nicht mehr. Bei der Produktion meiner neuen CD habe ich einmal zwölfmal hintereinander den gleichen Ton angeschlagen, und hinterher habe ich mich gefragt: Wo kommt das denn her?“ Sosa sagt, von ihm selber komme gar nichts, er sehe sich nur als ein Medium der großen, vergangenen Meister, die durch ihn spielen, und je reiner er auf die Bühne komme, desto höher sei die spirituelle Ebene seiner Musik. „Das ist schwer – manchmal bist du müde, hast schlechte Laune, vermisst deine Freundin oder hast dich über jemanden geärgert. Aber das musst du alles hinter dir lassen. Eifersucht, Neid und Egoismus dürfen deine Musik nicht beschmutzen, aber das gelingt natürlich nicht immer gleich gut.“
Wenn man Omar Sosas Musik analysieren will, kommt man schnell ins Straucheln. Man muss sich in diese komplexen Arrangements fallen lassen, sie spüren, dann ist alles plötzlich ganz einfach: „Wir sind alle Kinder von Mutter Afrika, und da singen, tanzen und spielen ja auch immer alle gleichzeitig. Da gibt es etwa sehr oft in einer Band drei Perkussionisten, die mit jeder Hand einen anderen Rhythmus trommeln, dazu spielt jemand die Melodie, dazu singt jemand, und ein anderer Sänger improvisiert noch darauf. So ist auch meine Musik aufgebaut.“ Dies erklärt auch, warum Soza mit Will Power einen amerikanischen Rapper in seiner Band hat, (bei dem sich „America“ auf „Masshysteria“ reimt), obwohl seine Musik sonst kaum afro-amerikanische Einflüsse ausweist: „Der Rap ist der Rumba der schwarzen US-Amerikaner. In Kuba improvisieren die Rumbasänger in ihren Songs über alles, was ihnen gerade einfällt.“
Den Erfolg des „Buena Vista Social Club“ der einerseits sicher auch die Verkaufszahlen seiner CDs beförderte, andererseits aber auch die Erwartungen des Publikums an einen kubanischen Musiker verändert hat, sieht Omar Sosa so: „Das ist unsere Geschichte, du kannst der Geschichte nicht entkommen. Das ist die Musik, die zwischen 1930 und 1950 in Kuba ganz modern war, aber in den 70er Jahren wurde Kuba isoliert, und dadurch hat sich auch die Musik kaum noch entwickelt. Dafür entstand aber im restlichen Lateinamerika die Salsamusik, und die Wurzeln von allen Salsabands liegen in Kuba. In meiner Musik ist auch etwas von den alten Meistern wie Ruben Gonzales, bei dem ich früher selber Pianounterricht hatte. Wir müssen dankbar sein, dass sie heute noch da sind. Ich höre sie und lerne von ihnen, aber wenn sie kommen und mir sagen wollen, was ich spielen soll, kümmere ich mich einen Dreck darum. Jazz ist Freiheit!“
Das Gespräch führte und übersetzte Wilfried Hippen
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