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Revolte in der Kabylei

Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen erschoss die Polizei zahlreiche Demonstranten. Jugendliche fordern ein Ende der Arbeitslosigkeit und der Misere

ALGIER afp ■ Bei schweren Unruhen in der algerischen Berberregion Kabylei sind am Samstag 29 Menschen getötet worden. Allein in der Umgebung der Berber-Hochburg Tizi Ouzou 110 Kilometer östlich von Algier kamen bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften 27 Menschen ums Leben, wie Zeitungen und Augenzeugen am Sonntag berichteten. Die Zahl der Toten habe sich damit seit Beginn der Auseinandersetzungen vor einer Woche auf etwa 50 erhöht. Die Unruhen waren durch den Tod eines Jugendlichen in Polizeihaft ausgelöst worden. Die Behörden wollten die Opferzahlen bis Samstagabend weder bestätigen noch dementieren.

Schätzungsweise ein Drittel der rund 30 Millionen Algerier gehört zu den Berbern. Sie leben vor allem in den Bergregionen im Norden des Landes, in der Kabylei und in den Regionen östlich der Hauptstadt Algier. Die Kabylei gehört zu den ärmsten Gebieten in Algerien.Der Boden ist steinig und trocken und die bäuerliche Arbeit wenig ertragreich, doch wirtschaftliche Alternativen gibt es nicht. Hier drängt sich die Bevölkerung mit der höchsten Dichte im ganzen Land. Die Arbeitslosigkeit ist erdrückend, und die Regierung tut nichts dagegen. Wer eine Zukunft haben will, wandert nach Frankreich aus.

Seit Jahren kommt es in diesem gesellschaftlichen Pulverfass immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Demonstrationen. Es sind vor allem die Jugendlichen, die in diesen Tagen ihrer Wut freien Lauf lassen. Sie zerstören öffentliche Gebäude, die für sie die Staatsgewalt symbolisieren, und zünden Wohnhäuser von Amtsträgern an, denen sie Korruption und Vetternwirtschaft vorwerfen. Bei Demonstrationen für Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und für ein Ende des „elenden Lebens“ kommt es täglich zu Zusammenstößen zwischen einer aufgebrachten Menge und der Polizei. Die Unruhen drängen zum ersten Mal seit 21 Jahren auch die traditionellen Forderungen des „Berber-Frühlings“ in den Hintergrund. Seit 1980 demonstrieren die algerischen Berber jedes Jahr am 19. und 20. April für ihre kulturelle Eigenständigkeit. Obwohl die Berber ein Drittel der etwa 30 Millionen Algerier ausmachen, ist ihre Sprache dem Arabischen nicht gleichgestellt. Die offizielle Anerkennung des Tamasicht, wie die Berber ihre Sprache nennen, ist deshalb eine der Forderungen. Doch während das restliche Algerien diese Demonstrationen bislang als Ausdruck eines regionalen Konflikts abtat, gewinnen die Proteste in diesem Jahr erstmals landesweite Bedeutung.

Die Tageszeitung La Tribune prophezeite, es werde sich rächen, wenn die Obrigkeit die Wut der Berber nicht als Zeichen nehme für einen „tiefen Bruch zwischen dem Volk und der Macht, die durch Korruption und Brutalität angefressen“ sei.

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