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Europa, bitte übernehmen Sie !

Der US-Wirtschaft geht die Luft aus, jetzt soll die EU als Lokomotive die Weltkonjunktur ziehen. Die OECD sagt für Europa ein Wachstum von 2,6 Prozent voraus. Deutschland wächst langsam. Treibende Kraft wird privater Konsum, Exporte gehen zurück

aus Berlin KATHARINA KOUFEN

Die Zeiten der neidvollen Blicke über den Atlantik sind vorbei. Künftig dürfte der Neid von drüben kommen, wenn Europa die USA in ihrer Rolle als Wachstumslokomotive ablöst. Dass dies der Fall sein wird, prognostiziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarnbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem Wirtschaftsausblick, den sie gestern in Paris – und per Videokonferenz auch in Berlin – der Öffentlichkeit vorstellte. „Europa wird zum Wachstumsführer auf niedrigem Niveau“, sagte Chefökonom Ignacio Visco.

Insgesamt korrigierte die OECD die Wachstumserwartungen für ihre 30 Mitgliedstaaten von 3,3 auf 2 Prozent nach unten. Boom-Country USA liegt dieses Jahr unter dem Durchschnitt. Die US-Wirtschaft soll laut Bericht um 1,7 Prozent wachsen – nach satten 5 Prozent im vergangenen Jahr. Visco: „Der Abschwung fiel erstaunlich heftig aus.“ Nächstes Jahr dürften die USA mit 3 Prozent Wachstum aber wieder aufholen. Für Japan sieht die OECD ein Wachstum von 1 Prozent voraus. Da ragt die EU mit prognostizierten 2,6 in diesem und 2,7 Prozent im nächsten Jahr heraus. Deutschland bleibt im Vergleich zu den anderen EU-Staaten zurück: „Zweieinviertel“ für 2001, „zweieinhalb“ für 2002, so Visco.

Für die Belebung der Konjunktur soll in Deutschland vor allem der private Konsum sorgen, heißt es in dem Bericht. Denn die Deutschen werden im Schnitt mehr Geld in den Taschen haben. Das liege zum einen an der Steuerreform, zum anderen am erwarteten Rückgang der Arbeitslosigkeit und drittens an „fallenden Energie- und Importpreisen“, so Visco. Dass Rohöl wieder „deutlich billiger“ werde und gleichzeitig die meisten Länder ihre Zinsen senkten, bezeichnet der Chefökonom als „Gegenschocks“ zur drohenden Rezession. Daher fordert die OECD auch von der Europäischen Zentralbank, sie solle endlich die Zinsen senken.

Die Exporte hingegen, dank des billigen Euro im letzten Jahr Konjunkturmotor Nummer eins, gehen seit Anfang 2001 leicht zurück. Als Gründe nennen die OECD-Volkswirte die schlechtere Lage in den USA und den daraus resultierenden Pessimismus auch in anderen Ländern. Aus dem gleichen Grund sind auch die Aufträge im Inland zurückgegangen, wenn auch die Industrie laut OECD weiterhin nicht über mangelnde Auslastung ihrer Kapazitäten klagen kann.

Der deutsche Staatshaushalt stand letztes Jahr besonders gut da, was der Milliardenschwemme aus der Vertsteigerung der UMTS-Lizenzen zu verdanken ist. Jedoch auch ohne diese Extraeinnahme hätte sich das Haushaltsloch auf 1 Prozent verringert, so die OECD. In diesem Jahr werde das Defizit wegen der Steuerreform wieder auf 1,5 Prozent steigen. Damit würde der Finanzminister sein Limit gerade noch einhalten. Die OECD mahnte die Regierung dennoch zur „strikten Ausgabenkontrolle“.

Mit ihren Prognosen für 2001 liegt die OECD im Trend: Die Wirtschaftsinstitute sagen für Deutschland ein Wachstum von 2,1 bis 2,4 Prozent voraus, der Internationale Währungsfonds glaubt an 1,9 Prozent und auch die Bundesregierung geht neuerdings von zwei Prozent aus.

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