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Im Schlossverlies landet keiner

Am ersten Tag stritten die Minister, am zweiten kamen sie sich näher. Eine Reform des Finanzsystems soll die Probleme der EU-Erweiterung lösen

von DANIELA WEINGÄRTNER

Das „Damenprogramm“ lag beim Treffen der EU-Außenminister am Wochenende in Nyköping in den Händen eines Politprofis: Während die schwedische Gastgeberin Anna Lindh sich um Fortschritte im Erweiterungsprozess mühte, führte ihr Ehemann und Exinnenminister Bo Holmberg die angereisten Ehepartner durchs idyllische Heimatstädtchen der Ministerfamilie.

Weniger idyllisch ging es bei dem als „Meinungsaustausch“ eingestuften informellen Treffen zu. Je näher die Stunde der Wahrheit rückt, wo den Kandidatenländern endlich Beitrittstermine genannt werden müssen, desto rauher wird der Ton. Gleich zur Begrüßung ließ der spanische Außenminister José Piqué die Journalisten am Samstagmittag wissen, sein Land wolle die Erweiterung nicht verzögern. Spanien habe auch Verständnis dafür, dass Deutschland und Österreich ihren Arbeitsmarkt für Jobsuchende aus Osteuropa erst nach einer Übergangsfrist von sieben Jahren öffnen wollen. Er machte aber klar, dass Spaniens Zustimmung nicht umsonst zu haben ist: Im Gegenzug sollen die Deutschen dafür sorgen, dass Spanien auch nach der Aufnahme ärmerer Länder weiter aus der EU-Kasse subventioniert wird.

Deutschland hat sich hier bisher unbeeindruckt gezeigt. Als mit Abstand größter Nettozahler ist sein vordringliches Ziel, den EU-Haushalt nicht weiter aufzublähen. Denn jeder dritte Euro, der in der EU ausgegeben wird, kommt aus der deutschen Kasse. Auf den spanischen Erpressungsversuch reagierte der deutsche Außenminister in Nyköping schroff: Man solle „nicht zusammenbinden, was nicht zusammengehört“. Über die Strukturfonds werde erst 2006 wieder gesprochen, wenn der Rat über den nächsten Hauhalt entscheide.

Tatsächlich kann sich Deutschland in dieser Frage entspannt zurücklehnen. Beim Reformgipfel von Nizza hatte sich Spanien mit einem diplomatischen Schildbürgerstreich selbst ein Bein gestellt, als es darauf bestand, dass über Strukturmittel auch in der kommenden Finanzperiode einstimmig entschieden wird. Deutschland wird diesen Streit mit Spanien nicht selber führen müssen. Jedes der neuen Mitglieder kann 2006 mit seinem Veto verhindern, dass der Verteilungsschlüssel für die Gelder zu Gunsten Spaniens geändert wird.

Um die Gemüter zu beruhigen, legte Kommissionspräsident Romano Prodi in Nyköping einen abweichenden Fahrplan auf den Tisch: 2004 will die Kommission einen Vorschlag zur Diskussion stellen, wie spanische, deutsche und osteuropäische Interessen in der kommenden Finanzperiode in Einklang gebracht werden können.

Mit diesem Vorschlag könnte dann auch bei der Agrarpolitik der gordische Knoten durchschlagen werden. Wenn Polen mit seinem hohen Anteil bäuerlicher Bevölkerung nach bisherigem Brüsseler Gießkannenprinzip subventioniert würde, wäre die EU-Kasse bald leer. Da die Agrarsubventionen ohnehin im kommenden Jahr auf den Prüfstand sollen, denken Experten in der Kommission inzwischen laut darüber nach, ob es noch lohnt, polnische Genossenschaften mit Brüsseler Antragsformularen vertraut zu machen.

Schwedens ehrgeiziges Ziel, beim Gipfel Mitte Juni in Göteborg endlich präzise Beitrittstermine zu nennen, scheint angesichts der Konflikte unerreichbar. Immerhin saßen die Außenminister der Kandidatenländer gestern zum ersten Mal mit am Tisch, als über das Wie und Wohin der politischen Reform, des so genannten „Post-Nizza-Prozesses“, gesprochen wurde. Am Ende bot das Treffen von Nyköping für sie nur den schwachen Trost, dass sich die Umgangsformen in Europa in den vergangenen 700 Jahren doch ein wenig verbessert haben. 1317 hatte König Birger seine beiden Brüder Erik und Valdemar in ein Verlies des Nyköpinger Schlosses geworfen und den Schlüssel im Fluss versenkt. Fischer und Piqué dagegen verließen den Ort heil und unversehrt.

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