piwik no script img

Wahlkampf mit Mord

Eine Woche vor den baskischen Regionalwahlen wird ein konservativer Politiker, vermutlich von der ETA, erschossen. Chancen der spanischen Parteien auf Wahlsieg

BILBAO taz ■ „Für uns gibt es hier keine Demokratie“, sagt Marisa Arrue. Die Fünfzigjährige ist Gemeinderätin der konservativen spanischen Volkspartei (PP) in Getxo, einer baskischen Kleinstadt unweit von Bilbao. Gestern hätte hier der ehemalige spanische Innenminister Jaime Mayor Oreja auftreten sollen. Er ist der Spitzenkandidat der PP für die baskischen Regionalwahlen am kommenden Sonntag. Doch Marisa Arrue hat ihre Rede zum Auftakt der Veranstaltung umsonst geschrieben: Die Partei sagte gestern alle Meetings ab. Denn nach eineinhalb friedlichen Monaten hatte am Sonntagnachmittag die ETA den PP-Vorsitzenden der Region Aragon, Manuel Giménez Abad in Saragossa erschossen, als dieser mit seinem Sohn zum Fußballstadion ging. Der Täter feuerte drei Schüsse ab, der 52-jährige Giménez Abad, Vater von zwei Kindern, war sofort tot.

Alle baskische Parteien verzichteten gestern auf ihre Wahlkampfveranstaltungen. Einzige Ausnahme: das ETA-nahe Wahlbündnis Euskal Herritarrok (EH). Überall im Baskenland versammelten sich um zwölf Uhr mittags die Menschen vor den Rathäusern zu einer Schweigekundgebung gegen die Gewalt. In Getxo stellten sich die Nationalisten, die hier den Bürgermeister stellen, unter ein Transparent mit der Aufschrift „Bakea behar dugu“ – „Wir brauchen Frieden“. „Uns ist das zu wenig“, sagt Arrue. Die Anhänger der Volkspartei und der Sozialisten hielten ein Spruchband mit „ETA Ez“ – „ETA Nein“.

Vor wenigen Wochen erst hatten PP und PSOE verlangt, diese Parole am Rathaus anzubringen. Die ETA-nahe EH hatte sich diesem Ansinnen widersetzt und war dabei vom Bürgermeister und den gemäßigten Nationalisten vom PNV und der „Baskischen Solidarität“ (EA) unterstützt worden. „PNV und EA werden im Rathaus von Getxo von EH unterstützt. Auch nach dem Bruch des Waffenstillstandes durch die ETA hat dieses Bündnis gehalten“, beschwert sich Arrue. 30 Tote hat die ETA seit Dezember 1999 auf dem Gewissen. Doch die moderaten Nationalisten von PNV und EA halten dem politischen Arm der ETA die Treue, obwohl dessen Gemeinderäte die Gewalt noch nie verurteilt haben.

Wenn auch das Bündnis zwischen moderaten und radikalen Nationalisten auf Gemeindeebene weiterhin funktioniert, so ist es auf Regierungsebene inzwischen auseinandergebrochen. Schon nach den ersten Attentaten hatten PNV und EA auf Druck der Opposition die Zusammenarbeit mit EH aufgegeben. Die vorgezogenen Neuwahlen vom kommenden Sonntag sind die Folge davon.

Die Wahlkampagne ist schwierig. Während die Nationalisten ungestört Wahlkampf machen können, muss sich die Opposition durch Leibwächter schützen lassen. 13 Politiker des PP und vier der PSOE hat die ETA in den letzten Jahren ermordet. Brandanschläge auf Wohnungen und Pkws der nicht nationalistischen Politiker sind an der Tagesordung. „Selbst unsere Familien haben unter der Gewalt zu leiden“, sagt Arrue: Die Wohnung ihrer Schwester wurde durch einen Molotowcocktail zerstört.

Die Übergriffe schweißen im Baskenland die beiden Parteien zusammen, die sich in Madrid politisch bekriegen. Vereint stehen PP und PSOE hinter dem Transparent mit der Aufschrift „ETA Nein“, vereint wollen sie die Nationalisten im baskischen Autonomieparlament auf die Oppositionsbank schicken. Und erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur scheint ein solcher Wechsel möglich. Die Umfragen gehen von einem Kopf- an-Kopf-Rennen aus, das das Bündnis PNV/EA verlieren könnte. Jaime Mayor Oreja wäre dann der Chef der Autonomieregierung. „Viele Wähler werden den Nationalisten ihre Zusammenarbeit mit dem Umfeld der Terroristen nicht verzeihen“, hofft Arrue. Dann steigt sie in ihren Dienstwagen, um zur Beisetzung ihres Parteifreundes Giménez Abad nach Saragossa zu fahren.

REINER WANDLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen