: Der Zweck heiligt die Mittel
Als Teile eines Verfassungsorgans werden Fraktionen vom Staat finanziert. Parteien müssen als Zusammenschlüsse von Bürgern ihr Geld selbst verdienen
von RALPH BOLLMANN
Da hat die CDU wieder einmal Pech gehabt. Gestern wollte der Bundestagsabgeordnete Kurt Röttgen in der Spendenaffäre endlich zum Gegenangriff übergehen: Mit einer Änderung des Parteiengesetzes will die Union der politischen Konkurrenz von der SPD ihr traditionsreiches Zeitungsimperium aus der Hand schlagen.
Doch von neuen Gesetzentwürfen wollte gestern niemand etwas wissen. Stattdessen ging es einmal mehr darum, wie sich die Christdemokraten über längst bestehende Gesetze kurzerhand hinwegsetzen. Christoph Böhr, Partei- und Fraktionschef der rheinland-pfälzischen CDU in einer Person, soll rund 250.000 Mark an Fraktionsgeldern für Parteizwecke missbraucht haben (siehe unten). Seit gestern prüft die Mainzer Staatsanwaltschaft die Vorwürfe.
Damit rückt eine Form der illegalen Finanzierung in den Blickpunkt, mit dem sich die Parteien in Bund und Ländern über die Jahre mit Millionenbeträgen bereichert haben. Lange Zeit wurde die Zweckentfremdung von Fraktionsgeldern geradezu als Kavaliersdelikt angesehen: Mitarbeiter von Abgeordneten gingen für ihre Partei auf Wahlkampftour, Parlamentarier flogen auf Fraktionskosten zu Parteitagen, Pressesprecher der Fraktion erledigten Anfragen an die Partei gleich mit.
Trennung „eigentlich lebensfremd“
Für die Geldverschiebung im großen Stil gibt es ein banales Motiv: Fraktionen sind reich, Parteien vergleichsweise arm. Als Bestandteile des Verfassungsorgans Parlament werden die Fraktionen voll und ganz vom Staat finanziert. In welcher Höhe, können sie im Bundestag und den Länderparlamenten selbst beschließen – eingeschränkt allenfalls durch eine Schamgrenze gegenüber der Öffentlichkeit.
Bei den Parteien hingegen haben die Karlsruher Richter die Grenzen der Staatsfinanzierung in den vergangenen Jahrzehnten immer enger gezogen. Parteien sind Zusammenschlüsse von Bürgern – und müssen ihre Gelder, so der Osnabrücker Parteienrechtler Jörn Ipsen, „in erster Linie selbst erwirtschaften“. Deshalb entschieden die Karlsruher Richter, dass die staatlichen Zuschüsse nicht höher sein dürfen als die Eigenmittel aus Spenden und Beiträgen. „Parteien dürfen nicht zu staatlichen Institutionen verkommen“, sagt Ipsen. Mit der Umwegfinanzierung über die Fraktion werde „dieses Ziel konterkariert“.
So klar, wie das klingt, ist die Abgrenzung in der Praxis allerdings nicht. Wo enden die Aufgaben der Fraktion, und wo beginnt die Arbeit der Partei? Die Trennung der beiden Bereiche sei „eigentlich lebensfremd“, gesteht Martin Morlok, Leiter des Hagener Instituts für deutsches und europäisches Parteienrecht. „Politisch gesehen, sind die Fraktionen nichts anderes als die Parteien im Parlament.“ Das sei allerdings noch lange kein Freibrief für den Missbrauch von Fraktionsgeldern. Schließlich müssten sich „andere Leute auch an Gesetze halten, die nicht der Alltagserfahrung entsprechen“.
Geld aus illegaler Spende
Die Politiker sehen das offenbar anders, und zwar quer durch alle politischen Lager. Besonders unverfroren betreibt allerdings die CDU die Vermischung von Fraktions- und Parteigeschäften. Nach dem gleichen Muster wie in Rheinland-Pfalz agierten auch die Parteifreunde in der Hauptstadt, wie der Berliner Rechnungshof erst vor zwei Monaten ans Licht brachte. Innerhalb von nur drei Jahren gab die CDU-Fraktion in dem Stadtstaat 800.000 Mark für Parteizwecke aus, unter anderem für den Druck einer Parteizeitung. Obendrein spannte Fraktionschef Klaus Landowsky seinen aus Parlamentsgeldern bezahlten Pressesprecher für den CDU-Wahlkampf ein – natürlich „in der Freizeit“. Das wäre nie herausgekommen, hätte Landowsky dem nützlichen Helfer für seine Dienste nicht 5.000 Mark in bar zugesteckt. Das Geld stammte aus der illegalen Spende, die Landowsky jetzt zu Fall brachte.
In Brandenburg wollten sich die Fraktionen vom Rechnungshof gar nicht erst auf die Finger sehen lassen. In ungewohnter Eintracht verhinderten CDU, SPD und PDS, dass die Fraktionsfinanzen in den Bericht der Rechnungsprüfer Eingang fanden. Obwohl die Juristen die Haltung des Rechnungshofes stützten, hatte sogar Oppositionsführer Lothar Bisky (PDS) „große inhaltliche Bedenken“, die „sehr verallgemeinernden Aussagen“ zu veröffentlichen.
Ganz ohne schlechtes Gewissen greifen auch die finanzschwachen Grünen auf die Ressourcen ihrer Bundestags- und Landtagsfraktionen zurück. Vor acht Jahren wurden die Bundestagsabgeordneten sogar per Parteitagsbeschluss verpflichtet, monatlich 1.000 Mark bei der Partei abzuliefern – ein Verstoß nicht nur gegen die Finanzierungsregeln, sondern auch gegen die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Abgeordneten, wie Jurist Jörn Ipsen findet.
Wollten Journalisten früher vom Berliner Landesverband der grünen Partei etwas wissen, wurden sie ganz automatisch an den Pressesprecher der Fraktion verwiesen. Der Sprecher rechtfertigte sich mit dem Argument, er beantworte Fragen zur Partei nur „außerhalb der Arbeitszeit“. Habe er tagsüber mit Journalisten Parteithemen erörtert, bleibe er abends einfach länger im Büro.
Auch die Grünen langen zu
Das grüne Finanzgebaren war ans Licht gekommen, als sich die Partei vor anderthalb Jahren über dubiose Geldtransfers bei der politischen Konkurrenz ereiferte. Anfang vorigen Jahres war herausgekommen, dass die CDU-Bundestagsfraktion unter der Ägide ihres Vorsitzenden Wolfgang Schäuble 1,146 Millionen Mark in bar an die Partei geleitet hatte. Schäubles zweifelhafte Ausrede: Das Geld stamme aus früheren Überweisungen der Parteizentrale und aus Spenden der Abgeordneten. Auch Christoph Böhr ließ gestern verkünden, auf seinem Fraktionskonto sei alles in bester Ordnung.
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