: Heiße Herzen, kalte Wut
■ Andere 17-Jährige gehen nur zum Gucken ins Kino. Der Bremer Schüler Malte Can macht sich das Kino selbst. Er hat jetzt gerade seinen ersten Spielfilm abgedreht
Acht Minuten. Zeit für eine gepflegte Zigarette. Ein hartgekochtes Frühstücksei. Oder für einen Kurzfilm. Malte Can entschied sich für Letzteres. Nicht als Zuschauer. Nicht als Schauspieler. Sondern als Regisseur. Dafür schleppte er Kis-ten im Supermarkt und polierte Gläser hinter der Theke. Ein Jahr lang. Dann hatte er die 7.000 Mark für den Streifen in der Kiste und den Film im Kasten. Ungewöhnlich. Denn Malte ist hauptberuflich an der Waldorfschule beschäftigt. Als Schüler. Malte ist 17 Jahre alt. Und er weiß ganz genau, was aus ihm wird: Filmregisseur.
„Mich fasziniert die perfekte Illusion, die ich mit dem Medium Film erzeugen kann. Das finde ich eigentlich viel spannender, als das normale Leben“, so der Jungfilmer.
Scheinwelt. Weites Feld. Seine Welt. Denn auch in Maltes Produktion „Authentizität“ nach der Vorlage „Der letzte Vorhang“ geht es um den schönen Schimmer. Ein Theaterregisseur ist unzufrieden mit seiner Protagonistin. Er will, dass sie sich die Rolle unbewusst zu eigen macht, wahre Emotionen aufkommen lässt. Wie er das macht? Er schlüpft selbst in die Rolle eines Schauspielers, spielt mit ihr, spielt ihr seine Liebe vor. Mit Erfolg.
„Das Stück habe ich in einem Lehrbuch für Film- und Fernsehregie entdeckt“, so Malte Can. Und dann springen seine Gedanken Trampolin. „Warum macht der Regisseur das? Steckt da auch eine Machtgier über diese Frau dahinter? Will er sich damit vielleicht für etwas rächen? Hat sie ihn einst zurückgewiesen?“
Nicht nur das Stück leuchtet er nach allen Seiten aus, auch bei der Umsetzung macht sich der junge Mann viele Gedanken.
„Zunächst musste ich mir die Rechte besorgen.“ Er habe sich die Finger wund geschrieben an die entsprechenden Firmen. Mal nach Stuttgart. Nach London. Nach New York. Dann stand die intensive kreative Phase an. Der 17-Jährige im hellen Rollkragenpulli kramt einen dicken roten Ordner hervor – mächtiges Zeugnis dieser Zeit. Darin: seitenweise Bilder von Playmobilfiguren in den unterschiedlichsten Stellungen. „Damit ich weiß, wie ich die Schauspieler arrangieren muss, habe ich das mal mit den Figuren ausprobiert“, sagt er und fährt sich mit der Hand über den Lockenschopf. Hinter den Playmobilfiguren kommen acht Seiten mit Bleistiftzeichnungen zum Vorschein. „Das ist das Storyboard. Damit habe ich die Geschichte chronologisch in kurzen Bildblöcken skizziert. „Ach und hier. Eine Abtrittserklärung der beiden Schauspieler – so können sie hinterher nicht irgendwelche Forderungen geltend machen.“ Er hält kurz inne: „Ehrlich gesagt hat es mich selbst gewundert, was ich alles beachten muss.“
Doch damit nicht genug, schließlich brauchte er noch den richtigen Dreh beim Dreh. „Ich entschied mich dafür, das Stück ohne Schnitt aufzunehmen. Das wirkt authentischer für den Zuschauer.“
So sei der Film ziemlich schnell über die Bühne des Waldau-Theaters gegangen. Morgens um neun fing die unbezahlte Crew aus Filmstudenten und Radio-Bremen Mitarbeitern an, um 15 Uhr war Feierabend. Auch um Vitamin B kümmerte sich Malte rechtzeitig. Denn seine zwei erfahrenen Schauspieler Guido Zimmermann und Patricia Lueger, die schon an der Seite von Til Schweiger gespielt hat, vermittelte ihm die Mira Filmprodukt-ionsgesellschaft. „Da habe ich letztes Jahr ein Praktikum gemacht. Momentan bin ich gut zweimal die Woche dort.“ Außerdem stand ihm Gerd Augustin beratend zur Seite. „Den kenne ich noch vom Offenen Kanal, da habe ich mit 15 in einer Parodie auf Dinner for One mitgespielt.“ Schauspielerische Erfahrungen sammelte er neben Rollen in diversen Schultheaterstücken auch schon im Tatort „Kalte Wut“ als Crashkid. „Ich habe nämlich auch ein Faible für die Schauspielerei“, verrät er. „Aber jetzt kümmere ich mich erst einmal um die Vermarktung.“
Im nächsten Jahr soll der Streifen in der Schauburg laufen. Als Vorfilm zur Sneak-Preview. Acht Minuten. Da liegt es in der Gunst des Publikums, das Werk zu feiern. Oder doch lieber einen Glimmstängel schmöken zu gehen.
Sörre Wieck
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