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Schöne neue Wissenswelt

Arbeit macht Spaß: Die Heinrich Böll Stiftung fragte nach den Links zur Wissensgesellschaft. Der Fokus war auf das emanzipatorische Potenzial der gesellschaftlichen Modernisierung gerichtet

von BRIGITTE WERNEBURG

Sind wir erst alle Wissensarbeiter, wird es uns nie mehr passieren, dass wir bei der Arbeit sitzen und denken, wir könnten uns Besseres vorstellen. Wir sind dann Systementwickler und die Arbeit macht uns so viel Spaß, dass wir einfach nicht wissen, wie schön es wäre, zum Beispiel im Kaffeehaus zu sitzen und Zeitungen zu lesen. Daher studieren wir auch nicht den Wirtschaftsteil und sind uns nicht darüber im Klaren, dass die Aktien, die wir als Teil unseres Gehalts beziehen, völlig in den Keller gefahren sind. Weil aber selbst diese Nachricht unseren Enthusiasmus für unsere Arbeit nicht weiter beschädigen könnte, ist das auch nicht so tragisch: Dieses Bild konnte im Laufe des dreitägigen Kongresses, den die Heinrich Böll Stiftung in Berlin ausgerichtet hat, nur allzu leicht entstehen. „Gut zu wissen – Links zur Wissensgesellschaft“ war das – unter anderen mit Benjamin R. Barber, Nancy Fraser, André Gorz und Richard Sennett – prominent besetzte Symposion betitelt. Der Link zu Adam Smith, der 1776 in seinem Hauptwerk „Der Wohlstand der Nationen“ davon sprach, dass Arbeit Verlust an Lebensglück sei, dieser Link wurde jedenfalls nirgendwo aufgerufen. Und dabei kann man sich sicher sein, dass irgendwo im Internet auch diese Bibel der modernen Wirtschaftswissenschaft zu finden ist. Statt Einkommenssteuer werden wir in zwanzig Jahren wahrscheinlich Vergnügungssteuer für unseren Broterwerb an den Staat entrichten.

Es scheint also, dass in der Wissensgesellschaft einiges grundlegendes Wissen einfach nicht mehr vorhanden ist. Vielleicht kommt es daher, dass auch der Link zum Begriff der Erfahrung nicht angeklickt wurde. Das Internet ist eben ein junges Medium. Es lag es aber wohl vor allem daran, dass das Tagungsziel, wie es Ralf Fücks, Mitglied im Vorstand der Heinrich Böll Stiftung, in seiner Eingangsrede formulierte, eine „Stärkenanalyse in demokratischer Absicht“ war. Der Fokus war also auf das emanzipatorische Potenzial der gesellschaftlichen Modernisierung gerichtet, auf Selbstbestimmung, Selbststeuerung und Selbstorganisation der Menschen in der Wissensgesellschaft. Fücks mochte Recht haben, wenn er bemerkte, der „Tunnelblick“ allein auf drohende Gefahren eröffne kaum Perspektiven, wie der Wandel zu steuern wäre. Trotzdem war der rundweg positiv formulierte Ansatz von „Gut zu wissen“ eine Einladung an all die Folien-Männer mit Overhead-Projektoren und Laptops, eine wunderbare Übersichtlichkeit der Banalitäten an die Wand der Aula der Humboldt-Universität zu projizieren. Geschlossenes versus offenes System, Störfaktor Kunde versus Impulsgeber Kunde, Arbeitsplatz versus Projekt, zu guter Letzt gar Microsoft versus Linux, Patentschutz versus open source, wo sich dann eine Gemeinde bildet, die ganz freiwillig und unentgeltlich, weil durch Selbstbestimmung hoch motiviert, das Computerbetriebssystem weiterentwickelt: so teilte sich plötzlich die Welt in Gut und Böse auf. Nur die Frage, warum IBM mit viel Geld einsteigen muss, damit bei Linux die notwendigsten Weiterentwicklungen wieder in die Gänge kommen, die durfte man da besser nicht stellen.

Natürlich gibt es die Fakten, die für sich sprechen. Norbert Bensel, Mitglied des Vorstandes der DaimlerChrysler Services AG, Berlin, konnte in seinem plenaren Vortrag auf den Dienstleistungstarifvertrag seiner Firma hinweisen, der die kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeiter garantiert, der Arbeitszeitbudgets, Lang- und Lebenszeitarbeitskonten beinhaltet und die Leistung des Einzelnen nicht mehr an seiner Anwesenheit im Unternehmen misst. Im Forum drei freilich, „Arbeit und Einkommen in der Wissensgesellschaft“, wies ihn eine Teilnehmerin aus dem Publikum darauf hin, dass im genuin dienstleistungsorientierten Bereich des Kranken- und Pflegewesens die Retaylorisierung ständig neue Blüten treibt. Der Umgang mit dem kranken und alten Menschen wird hier von den Kostenträgern in minutengetaktete Handreichungen zerlegt.

Immerhin, die Wissensgesellschaft hält für diesen Fall die Hoffnung bereit, die Rettung liege auch hier in einer Verschlankung der Verwaltung. Birger P. Priddat, Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Witten/Herdecke, visionierte ein EGovernment, in dem die Bürger über die staatlichen und kommunalen Politikportale im Internet einen ständig aktualisierten Überblick über das Leistungsspektrum der Verwaltungen haben, die sie wiederum – in einer 2nd order democracy – fragen, welche Projekte die Bürger nun prioritär behandelt haben möchten, in Zeiten allgemeiner Budgetrestriktionen. Dies wiederum erzwingt ein Mehr an Bürgerarbeit und Bürgerbeteiligung, und mehr als eine Moderatorenrolle sollte man dem Staat der Wissensgesellschaft auch nicht zumuten, denn, so Priddat, wenn er zu intervenieren droht, dann auch weiterhin mit seiner Ineffizienz.

Die Selbstverständlichkeit mit der die Bürger als vernetzt und EAgora-fähig betrachtet werden, weist einmal mehr auf die wahrscheinlich wirklich revolutionäre Errungenschaft des Internet hin. Hier drehen sich die Verteilungskämpfe, die nach Nancy Fraser schon heute vor allem Kämpfe um Anerkennung und Akzeptanz von Themen und Allianzen sind, weniger um Wissen per se als darum, wie an dieses Wissen heranzukommen und was damit zu tun ist. Ob Demokratie, Bildung, Risiko – übrigens auch so Ding zweiter Ordnung, als ein rekursiv erzeugtes Problem –, ob Einkommen oder selbst Ästhetik und Kunst, das war auf den insgesamt acht Foren zu hören, die diesen Begriffen gewidmet waren: Verhandlungsort – aber vielleicht auch Kriegsschauplatz? – ist das Netz. Dieser Vorgang wiederum bringt, als Chance selbstverständlich, andere Zeitstrukturen mit sich. Doch man mag dem Loblied der freien Zeiteinteilung nicht so recht trauen. Wirkliche Wissensarbeiter können von großer Einsamkeit berichten.

Es blieb am Ende Richard Sennett vorbehalten, einer ganz wesentlichen Tugend des Wissens zu ihrem Recht zu verhelfen: der Skepsis. Er wies darauf, so viel Gewinn an beruflicher Eigenverantwortung und professioneller Selbstbestimmung Angestellten und Arbeitern über Entbürokratisierung und Enthierarchisierung versprochen wird, so hoch sei ihre Verlustrechnung am Ende. Denn statt Eigenverantwortung gäbe es vor allem einen massiven Kontrollverlust hinsichtlich Karriere und Lebensplanung. Er drücke sich unter anderem darin aus, dass es für die Betroffenen unmöglich geworden sei, ihr Leben in einer Geschichte zusammenzufassen, in der die Mühen und Plagen des Alltags ebenso wie seine Erfolge einen nachvollziehbaren Sinn ergeben. Dafür nämlich bedürfe es langfristiger Verbindlichkeiten und Loyalitäten, bedürfe es erzählbarer Lebensgeschichte. Er konnte mit ihr aufwarten und die Theorie in die Geschichte seiner links engagierten Familie einbinden. Und als er dann sagte, „we socialists“, da war man plötzlich wirklich dankbar für dieses Wort.

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