: König Kurt mutiert zum Motzki
Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf schließt einen Rücktritt aus, jammert über die böse Presse und bezeichnet die neuen Vorwürfe gegen seine Frau als „Sauerei“. Die Opposition droht derweil mit einem weiteren Untersuchungsausschuss
aus Dresden NICK REIMER
Wer schaut in Sachsen eigentlich noch die „Lindenstraße“? Für die Sächsische Zeitung jedenfalls ist klar, dass sich die „Schevenstraße“ – die seit fast sechs Wochen täglich live vom Dresdner Elbufer kommt – in der Zuschauergunst längst vor den ARD-Dauerbrenner geschoben hat: Ein mächtiger Politiker und seine aufopferungsvolle Gattin, deren Glück durch obskure Verträge, undankbare Parteifreunde, neidische und ungerechte Journalisten, Putzfrauen, Limousinenfahrten und Urlaub am Chiemsee in Gefahr geraten ist.
Im gestrigen Teil der Serie sollte es eigentlich um die Hochschulpolitik Sachsens gehen. Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) gedachte, das Ergebnis der Kabinettsberatung zum Bericht der Hochschulentwicklungskommission vorzustellen. Weil das aber nun so gar nicht quotenträchtig ist, landete die Handlung schnell bei schwarzen Kassen. Als solche hatte der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle die Handkasse von Ingrid Biedenkopf bezeichnet, über die jahrelang Getränke- , Essens- und Personalkosten im Hause Biedenkopf – in der Schevenstraße – abgewickelt worden waren.
Biedenkopf, der die Sachsen jahrelang in der Rolle des allwissenden, fürsorglichen Landesvaters zu erfreuen wusste, gibt derzeit eher den Motzki: Er sprach gestern von einer „unschönen“, „bundesweiten“, „nicht mit der nötigen journalistischen Sorgfalt geführten Debatte“, die „wenig Inhalt“ habe und sich vor allem gegen seine Frau richte, was eine „Sauerei“ sei. Niemand nämlich berichte derzeit über die aufopferungsvolle Tätigkeit seiner Frau, über all die Petitionen, die sie beantworte, über all das Geld, das sie für wohltätige Zwecke sammle, über ihr ganzes Engagement zum Wohle des Freistaates. Nachfolgedebatten, parteiinterne Opposition, ein Untersuchungsausschuss, staatsanwaltliche Ermittlungen wegen etwaiger Steuerhinterziehung und zuletzt der Wirbel um die Biedenkopf’schen Wohnverhältnisse – seit Monaten steht der 71-Jährige unter Dauerbeschuss.
Gestern wies Biedenkopf seinen Finanzminister an, bis Ende Mai eine unanfechtbare abschließende Regelung für das Wohn- und Gästehaus Schevenstraße zu schaffen. Alle Unklarheiten sollen zu „meinen Lasten angerechnet werden“, die Biedenkopf dann nachzahlen werde. Vorzuwerfen aber hat er sich nichts: Kein deutscher Ministerpräsident „wäre bereit unter Bedingungen wie meinen zu wohnen“, erklärte Biedenkopf.
Plötzlich ganz stark steht die Opposition da. „Der Hofstaat um die Landesmutti Ingrid Biedenkopf muss jetzt beleuchtet werden“ forderte SPD-Landeschefin Constanze Kehl und kündigte einen neuen Untersuchungsausschuss an. Die PDS sieht gar klare Anzeichen, dass Biedenkopf im letzten falsch ausgesagt habe.
Der Ministerpräsident denkt trotz aller Verletzungen nicht an einen Rücktritt: „Weder ich noch meine Frau haben die Absicht, unsere Tätigkeit vor Ablauf der Legislatur zu beenden. Wir haben einen Auftrag der Wähler – ich meine, ich habe den Auftrag.“
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