: Halt ein, edler Meisenfreund
In Wolfsburg muss ein armes Vogelpärchen unter übermäßiger Fürsorge leiden
BERLIN taz ■ Herrmann Elbershausen (48) aus dem Wolfsburger Stadtteil Almke hält sich für einen Vogelfreund. An einer stark verzweigten, gestutzten Eberesche hat er dicht an dicht zehn selbst gefertigte Nistkästen für Meisen angebracht. „Ich habe das Einschlupfloch auf 2,2 Zentimeter Durchmesser begrenzt, da passen ausschließlich die schlanken Insektenjäger hindurch.“ Hört sich clever an, ist aber sehr dumm. Angeblich zwei Pärchen hätten die Einladung für ein Eigenheim Marke Holzplattenbau schon angenommen, berichten die Wolfsburger Nachrichten auf ihrer Regionalseite. Es wird sich dabei um ein Kohl- und ein Blaumeisenpärchen handeln.
Mehr werden es gewiss nicht werden. Der gelernte Zimmermann rechne mit weiterem Zuzug, berichtet das Blatt arglos weiter. Dabei weiß doch jeder Vogelfreund, dass Meisen ausgesprochene Reviervögel sind. Grundsätzlich brüten sie nie dicht an dicht, schon gar nicht in Kolonien. Eine Meise ist eben keine Schwalbe. Herrmann Elbershausen ist zwar zu loben, ob seines sicher gut gemeinten Engagements, aber den Meisen wäre doch besser geholfen, wenn er die zehn Nistkästen in ganz Almke weitläufig verteilt hätte. Doch jetzt ist es dafür sowieso zu spät: Die Reviere sind längst aufgeteilt und die fleißigen Insektenvertilger pfeifen auf das großzügige Angebot des niedersächsischen Zimmermanns. Dass in die leeren, unbesetzten Nistkästen ein Meiserich schon mal einen Blick geworfen hätte, wie die Wolfsburger Nachrichten frohlocken, ist absolut kein Indiz auf eine baldige Besetzung eines Kastens. Im Gegenteil: es wird sich dabei um Vertreter der beiden einzigen Mieter der Kolonie handeln, die gelegentlich einen Blick in die leeren Nistkästen riskieren, um im Falle einer Besetzung den Konkurrenten der gleichen Art sofort rauszuschmeißen.
Im Grunde hat Herrmann Elbershausen mit seiner übermäßigen Fürsorge den beiden Meisenmietern totalen Stress beschert. Das brütende Kohl- und Blaumeisenpaar muss nun nicht nur bis zu tausend Mal am Tag ihren Jungen Futter bringen, sondern auch noch ständig in die anderen Kästen gucken. Gut gemeint – aber leider völlig falsch! WOLFGANG MÜLLER
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