: Ein „bisschen Christ“ sein geht nicht
■ Der gestern aus dem Amt geschiedene BEK-Präsident Heinz Hermann Brauer über Kirche und Politik, neue Spiritualität und die Gefahr, sich auch einmal zu übernehmen
Gestern endete die Amtszeit des langjährigen Präsidenten des Kirchenausschusses und des Kirchentages der Bremischen Evangelischen Kirche, Heinz Hermann Brauer. Die taz sprach mit dem 1929 geborenen Juristen, der auch 20 Jahre lang die Bremer Staatsanwaltschaft geleitet hatte.
taz: Herr Brauer, sind Sie das, was man einen politischen Christen nennt?
Heinz Hermann Brauer:Ich habe vor Jahren aus Afrika ein Wort mitgebracht, das mich seither begleitet: ,Das ganze Evangelium für den ganzen Menschen'. Das bedeutet, dass das Evangelium keinen Bereich des Lebens – auch nicht den politischen – ausklammern darf. Man kann nicht ein bisschen Christ sein. So verstanden, würde es sogar Sinn machen, mich als politischen Christen zu bezeichnen.
Sie haben andererseits den Verlust von traditioneller Spiritualität beklagt. Droht der Kirche sozialarbeiterische Beliebigkeit?
Nein. In den 70er Jahren wurde die Spiritualität zwar durch ein sehr starkes sozialdiakonisches Engagement der Kirchen zurückgedrängt – und durch eine gewisse Säkularisierung im Hinblick auf einen Trend zur ,Mitmenschlichkeit'. Das ist aber eine Epoche, die so vorbei ist. Wir sind wieder auf dem Wege zu einer neuen Spiritualität. Dabei hat das sozialpolitische Engagement der Kirche durchaus nicht nachgelassen. Das, was ich als ,Mitmenschlichkeit' bezeichnet habe, hat dabei vielleicht wieder seinen richtigen Sitz als christliche Nächstenliebe gewonnen.
Als Präses der norddeutschen Mission haben Sie mit afrikanischen Kirchen zusammengearbeitet. Gab es da in Punkto Spiritualität was zu lernen?
Das sind wirklich blut- und glutvolle Gottesdienste, die die Afrikaner feiern, die sich doch beträchtlich von den Gottesdiensten bei uns, bei denen es ja doch manchmal etwas langweilig zugeht, unterscheiden. Ich würde schon sagen, dass Deutschland mittlerweile eine Art Missionsland geworden ist.
Ihr Afrika-Engagement hat Sie außerdem am Beispiel der Togo-Flüchtlinge mit Asylfragen konfrontiert. Wann darf – oder: wann muss – die Kirche eingreifen?
Die Kirche sollte sich immer da zu Wort melden, wenn Anlass zur Annahme besteht, dass noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. In dem Fall, in dem ich mich besonders engagiert habe, schien mir das der Fall zu sein. Inzwischen ist für das betreffende Ehepaar auch eine langfristige Duldung ausgesprochen worden.
Kann man daraus im Umkehrschluss folgern, dass es Defizite im staatlichen Recht gibt?
Ich will jetzt keine Gesetzeskritik vortragen, obwohl mich die Aufweichung der Asylgesetzgebung Anfang der 90er Jahre schon sehr bekümmert hat. Es ist vom eigentlichen Asylrecht ja sehr wenig übriggeblieben. Aber es geht mir weniger um die Gesetzeslage, als vielmehr um die Gesetzesanwendung. Und da wird dem humanitären Aspekt manchmal zu wenig Bedeutung beigemessen.
Sind Sie mit Ihrem Engagement für das Kirchenasyl in Ihrer Eigenschaft als leitender Oberstaatsanwalt auch mit Ihrem Berufsethos in Konflikt geraten?
Ich denke nicht. Mir ist natürlich bewusst, dass Kirchenasyl kein Rechtsinstitut ist und dass formal ein Gesetzesverstoß vorliegt, wenn eine Gemeinde einen Flüchtling vor der Abschiebung bewahrt.
Hätten Sie als leitender Oberstaatsanwalt nicht veranlassen müssen, dass so ein Rechtsbruch verfolgt wird?
Ich hatte das Glück, dass bis 1992, als ich in den Ruhestand ging, ein solcher Fall nicht eingetreten ist.
Die Kirche in Bremen musste zum Teil brutal sparen. Konnten sie das immer vertreten?
Wir haben von vorneherein das ganze Sparprogramm mit ganz großer Offenheit gefahren, wir haben über alle Schritte alle Gemeinden und den Kirchentag immer informiert. Wir haben für all das um Verständnis geworben – und haben es weitgehend erzielt. Da es sich vor allem um Personalentscheidungen handelte, waren wir bemüht, so sozialveträglich wie möglich zu verfahren.
Sie haben gesagt, die Kirche sei Ihnen zu wenig protestantisch im Sinne von ,Protest'. Wo muss sie protestieren?
Ein Beispiel ist die Abschaffung des Buß- und Bettages. Da hätte wir etwas aggressiver in unserer Argumentation sein müssen. Wir sind schlauer geworden durch das, was wir erlebt haben, und werden auf der Hut sein.
Gilt das auch für Fragen, die über den unmittelbaren Kreis der Kirche hinausgehen?
In Fragen des Friedens auf der Welt und auch hier in unserer Region müssen wir, glaube ich, noch wachsamer sein. Es hat eine ganze Menge steiler kirchlicher Erklärungen gegeben zur Jugoslawienfrage. Und wir haben jetzt in dieser Region eine Entwicklung, von der wir einigermaßen betroffen sind und uns fragen müssen, ob das, was wir damals gesagt haben, heute noch gilt. Man muss bei solchen Erklärungen immer sehr aufpassen, dass man sich nicht übernimmt.
Fragen: Jan Kahlcke
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