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: Coppola präsentiert die erweiterte Apokalypse

Der Kampf geht weiter

Es ist die größte Acid-Rock-Opera aller Zeiten, aus der Marlon Brandos riesiger kahler Schädel wie ein böser Monolith herausragt, ein psychedelisches High aus Wagner, Napalm, Jim Morrison und dem Rhythmus von Rotorenblättern. Kein Film über Vietnam, sondern über die Erfahrung Vietnam. „A very personal film“ (Coppola) für 30 Millionen Dollar und ein Trip, der schon beim Dreh der pure Wahnsinn war: Zwei Taifune, 140 Kilo Brando, Martin Sheen mit Herzattacken, ein 14-jähriges Kind namens Lawrence Fishbourne, das sich für die Rolle ein paar Jahre älter gelogen hatte, drei Jahre Produktionszeit, davon allein anderthalb Jahre Schnitt – und immer noch kein Ende. „Apocalypse Now Redux“, die vorläufig gültige, von Francis Ford Coppola und seinem Cutter Walter Murch neu montierte und gemischte, um 53 Minuten verlängerte Fassung hatte gestern in Cannes Premiere.

Für Coppola ist sie „sexy, bizarrer, experimenteller, weniger auf die Action als die Innenwelt und Erfahrung der Soldaten bezogen“. Kurz: „Ein ganz neuer Film.“ Schon in der „alten“ Fassung war zwischen Aufklärung und Mystifizierung des Krieges, Außenwelt und Innenperspektive der ständig unter Drogen stehenden GIs nie wirklich zu unterscheiden. Ein haschgeschwängerter Albtraum, in den Martin Sheen als blutverschmierter Whiskychristus hineintorkelt, während Mick Jaggers „Satisfaction“ über schlammige Dschungelflüsse hallt, ein Rockspektakel, in dem Granaten „purple haze“ heißen und für das die Doors gleich am Anfang den Abgesang liefern: „This is the end, my only friend.“

Coppolas Ende, das ihm übrigens jahrelang Zweifel, Schlafstörungen und Kopfzerbrechen bereitete, besteht in der neuen Fassung aus einer Bootsfahrt, die aus Marlon Brandos Leichentempel hinausführt, während am Horizont die Hubschrauber herandonnern – to be continued. „Apocalypse Now“ war für Francis Ford Coppola von Anfang an eine Obsession. 22 Jahre lang hoffte er auf eine neue Fassung, die aber warten musste, bis sein überarbeiteter Cutter Walter Murch im letzten Jahr endlich Zeit hatte. Neben vielen kleinen Einfügungen, Umschnitten und Veränderungen der Musikeinsätze haben Coppola und Murch drei größere Szenen wieder eingefügt, die damals noch als erzählerisches Wagnis und Produzentenprovokation empfunden wurden und den Wahnsinn noch vergrößern. Robert Duvall als Napalm liebender Colonel Kilgore bekommt eine ausgedehnte Ouvertüre für seinen Walkürenauftritt, und die Soldaten von Willard (Martin Sheen) machen in einer Art Militärmüllhalde am Ende der Welt mit einer Hand voll lethargischer Playmates herum. Die längste und einschneidendste Einfügung besteht aus einer Dinnereinladung französischer Plantagenbesitzer, bei denen Willard auf seinem Weg zu Colonel Kurtz Station macht: ein Häuflein unbeugsamer Franzosen, die mit Kristall und Tafelsilber speisen, Baudelaire zitieren, hasserfüllte Anti-68er-Monologe halten, Opium rauchen und die Plumpheit der amerikanischen Kriegführung beschimpfen. Durch die morbide Resistenz dieser letzten Abgesandten des alten Europa, die immer noch von ihren Kolonialschlachten schwärmen, bekommt die geschichtslose, drogenbenebelte Präsenz der GIs plötzlich eine absurde historische Kontinuität.

Für Coppola ist „Apocalypse Now“ zu einem imaginären Lebensprojekt geworden. Sein neuer Film, über den er seit 15 Jahren mysteriöse Andeutungen macht, soll „ein Projekt von ähnlicher Dimension, ähnlicher Haltung und mit einer vergleichbaren Kulturkritik“ werden. So oder ähnlich hat er es jedenfalls bei der Pressekonferenz in Cannes in seinen mittlerweile grauen Bart gemurmelt. To be continued.

KATJA NICODEMUS